Gespräch mit Felicitas Higgins und Nike-Marie Steinbach zu „Wir wissen noch nicht was es wird aber es geht um Sex“

Warum sind die Themen Sexualität und Sex Eurer Meinung nach so wichtig?

FH: Sex ist nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Gerade solche auf der Bühne zu verhandeln und damit Tabus zu verkleinern, halte ich für immens wichtig.
NMS: Beim Nachdenken über eine nächste Inszenierung war sofort ein Gedanke da: Etwas, das mit dem menschlichen Bedürfnis nach Begegnung zu tun hat. Und ein positives, lebensbejahendes Thema. Eines, das mit allen zu tun hat. Und da war es: Sexualität und Sex.

Was für einen Einfluss hat der Inhalt des Stücks auf die Namensfindung?

NMS: Die ehrliche Antwort? Der Titel hängt noch immer, auf ein Post-It gekritzelt, an der Wand in meinem Wohnzimmer. Gelandet ist er da an einem Abend mit einer Freundin und einer Flasche Wein. Bis heute ist er ist Programm geblieben: Der Theaterabend ist eine Suche nach dem, was Sexualität sein kann. Und ist. Letzteres ist so individuell und ständig im Wandel – das lässt sich nicht in 90 min festgeschriebene Bühnenszenerie pressen.

Euer Stück hat keine vorgefertigte Textfassung: Was ist das Besondere daran, dass die Texte erst im Probenprozess entstehen?

NMS: Finde mal ein Stück, indem alle Bereiche dieses Themenkomplexes vorkommen. Und in dem sie so verhandelt werden, dass es der Sache gerecht wird… Nein, im Ernst. Manchmal sind es die einfachen, direkten Worte nebenbei, die den Kern der Sache treffen. Oder die individuellen Metaphern, die Menschen finden, um Unaussprechliches in Worte zu fassen. Und dann gibt es da die vielen Dinge, die mit Worten vielleicht gar nicht greifbar, erst recht nicht an ein Gegenüber vermittelbar sind. Deshalb Theater. Denn da sind Bilder, Körper, Musik, Licht, der Raum, die Kommunikation mit dem Publikum…

Felicitas, wie bist du bei dem Schreiben der Texte vorgegangen?

FH: Als ich anfing die Texte zu schreiben, habe ich gemerkt, dass ich ungewollt viele eigene Themen verarbeite. Dabei ist es wichtig, dass die Themen der Spielenden verarbeitet werden, damit es wirklich ihr Stück wird. So geht es darum, herauszufinden, was sie bewegt. Das Ensemble ist somit für mich die größte Inspiration.

Was ist Euch bei der Stückentwicklung rund um das Thema „Sex” besonders wichtig?

NMS: Meinst du jetzt die Moral der Geschicht’? Als Regisseurin wünsche ich mir, dass die Aufführung als Einladung wahrgenommen wird. Ich lese und höre oft: Unsere Gesellschaft ist oversexed und underfucked. Ich weiß nicht, was da dran ist. Mein Eindruck ist, dass ein Bild von Sex in der Gesellschaft existiert, das wenig mit der Realität zu tun hat. Das fängt an mit den Erzählungen darüber, was attraktiv, was sexy ist. Wann man wie welche Erfahrungen gemacht haben muss. Was sich gehört und was nicht. Niemand kann dem genügen. Das verkrampft, macht das Thema zu etwas Problematischem. Dabei ist da so viel Schönes. Dazu möchte ich einladen: Zu Neugierde, Lust, Entspanntheit mit allem, das mit Sexualität zusammenhängt. Und ich möchte Schubladen umsortieren. Oder sie am besten gleich in Wühlkörbe verwandeln.

Gibt es etwas, dass Euch in der Recherche überrascht hat?

NMS: „Fetisch gibt es nicht!” Das erklärte uns die Geschäftsleiterin eines Fachhandels für Erotik. Der Begriff Fetisch beschreibt einen von der vermeintlichen(!) Norm abweichenden Sexualtrieb. Diese Aussage hat mich ertappt. Darin, wie engstirnig und egozentrisch auch meine Sicht auf Sexualität ist: Ich habe es leicht, mich als heterosexuelle cis-Frau in der Welt da draußen zu bewegen. Ein anderer Mensch, der uns beratend im Probenporozess begleit hat, hat uns den Begriff des Möglichkeitsraums geschenkt. Sexualität, sexuelle Identität ist ein Möglichkeitsraum. Ohne klare Abgrenzungen.

Was braucht es um Sex und Sexualität als Theaterstück auf die Bühne zu bringen?

FH: Offene Spieler*innen, teilweise Überwindung und einiges an Humor.
NMS: Sogar richtig viel Humor!!! Denn damit lassen sich Grenzen am leichtesten überwinden, glaube ich. Mut braucht es. Und Neugierde – wertfreie Neugierde!

Die Fragen stellte Géraldine Welte