Gespräch mit Dramaturgin Dagmar Borrmann über „Wir lieben und wissen nichts“

Was passiert, wenn zwei sehr unterschiedliche Paare einen Wohnungstausch vereinbaren und dann alles schiefläuft? Darum geht es auf höchst amüsante Weise in Moritz Rinkes Komödie „Wir lieben und wissen nichts“.

Welche Bedeutung hat der Titel des Stücks?

Darüber kann man wirklich lange philosophieren. Ich denke, jeder wird sich diesen Titel etwas anders übersetzen. Meine Version wäre: Wir können noch so viel Ratgeberliteratur lesen und noch so viele Podcasts hören – letztlich gibt es keinen „Königsweg“ für die Liebe. Das ist immer wieder Neuland, und wer das Risiko des Scheiterns scheut, sollte sich besser gar nicht erst auf den Weg machen.

Gibt es besondere Stilmittel, die in dem Stück hervorstechen?

Moritz Rinke ist ein erfahrener Autor, der das Komödien-Handwerk perfekt beherrscht. Das beginnt damit, dass er vier Figuren aufeinander loslässt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber das Schöne ist: er belässt es nicht bei einem Klischee. Wir dürfen hinter der Fassade vielschichtigen Menschen dabei zusehen, wie sie versuchen, ihr Lebenskonzept zu realisieren – und dabei scheitern. Das ist sehr komisch, aber auch berührend.

Gibt es Konflikte oder Wendepunkte, die die Handlung vorantreiben?

Ja. Es geht um zwei Paare, die einen Wohnungstausch verabredet haben. Es gibt die üblichen Statuskämpfe, wer den cooleren Lifestyle hat; man checkt sich auch erotisch gegenseitig ein bisschen ab, das produziert Eifersucht – aber noch könnte alles gut gehen. Zum entscheidenden Wendepunkt wird lustigerweise ein fehlendes WLAN-Passwort. Da eskaliert die Situation, und es bleibt kein Stein auf dem anderen…

Wie wird Humor oder Satire in dem Stück eingesetzt?

Es gibt eine ganze Menge verdammt guter Pointen in dem Stück, aber oft lachen wir auch darüber, dass wir uns in den Figuren wieder erkennen oder ihren Strategien auf die Schliche kommen.

Wie beeinflusst der Kapitalismus die Vorstellungen von Liebe und Romantik in der heutigen Gesellschaft?

Die romantische Liebe ist in der Geschichte der Menschheit ja eher eine junge Erfindung: in früheren Jahrhunderten waren persönliche Bindungen fast ausschließlich ökonomisch, religiös oder durch Standesschranken geprägt. Aber vollkommen frei von gesellschaftlichen Prägungen funktionieren persönliche Bindungen auch heutzutage nicht. Ich würde nicht so weit gehen wie Eva Illouz, deren These ist, dass das emotionale Leben der Logik von ökonomischen Beziehungen folgt, aber natürlich können wir uns von diesen Einflüssen nicht vollkommen frei machen. Momentan erleben wir, dass Effizienzdenken und Optimierungswahn einen großen Einfluss auf die Partnerwahl haben – und zwar bewusst wie auch unbewusst.

Gibt es Beispiele aus dem Stück dafür, wie der Kapitalismus die Prioritäten von Menschen so verändert, dass die Liebe auf der Strecke bleibt?

Ja, die Liebe von Hannah und Sebastian zerbricht daran. In ihrer Jugend hatten sie dieselben antikapitalistischen Ideale, aber da man von Idealen nicht leben kann, entschied sich Hannah, Atemkurse für Banker zu geben. Sie beschlossen einen Deal, dass sie das Geld verdient, während er sich seiner Arbeit als Autor widmet. Das geht so lange gut, wie Hannah sich von Sebastian das gewünschte Kind erhofft. Doch je länger das Kind ausbleibt, desto mehr bröckelt die Beziehung.

Glauben Sie, dass es im Kapitalismus schwieriger ist, echte und bedingungslose Liebe zu finden?

Nein, das glaube ich eigentlich nicht, und wahrscheinlich kennt jede/r in seinem Umkreis Beispiele für echte und tiefe Liebesbeziehungen. Ich denke, es ist letzten Endes eine persönliche Entscheidung, inwieweit ich meine Liebe von ökonomischem Denken (und das schließt nicht nur finanzielle Aspekte, sondern auch Attraktivität, Status und ähnliches ein) dominieren lasse. Aber natürlich ist dafür Reflexion nötig, damit man nicht einfach den Mustern folgt, mit denen wir unablässig bombardiert werden. Ich muss mich fragen: was suche ich eigentlich? Was schätze ich an anderen Menschen? Was ist mir das Wichtigste in einer Partnerschaft? Welche Werte soll meine Partnerin/ mein Partner teilen? Und wie stelle ich mir unsere Liebe in zwanzig Jahren vor?