Gespräch mit Juliana Zara

Die Sopranistin Juliana Zara über die Figur der Lulu und ihre Vorfreude auf Alban Bergs Oper in der Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr

Du bist seit zwei Spielzeiten am Haus, standest zuletzt als Zerlina in „Don Giovanni“ auf der Bühne. In deiner Biografie ist zu lesen, dass du gerne Repertoire aus dem 20. und 21. Jahrhundert interpretierst. Wie kommt das?
Im Opernrepertoire gibt es so viele unterschiedliche Facetten und ich denke, wir haben die Pflicht, auch Neues zu machen. Es fällt mir leicht und ich habe Spaß daran, neue Musik zu interpretieren. Zwar liebe ich es auch in alten Operncharakteren wie Zerlina etwas Neues zu entdecken, aber bei Stücken wie „Don Giovanni“ ist die Interpretation immer ein Kommentar. Das Spannende im Repertoire des 20. /21. Jahrhunderts ist, dass das Publikum noch keine feste Idee davon hat, wie es auf der Bühne auszusehen hat. Es gibt noch einen frischen Blick.

Juliana Zara (C) Maryna Rudenok

Gibt es eine Traumpartie?
Lulu ist meine number One.

Warum?
Die Eltern meines Freundes haben mich das in der Weihnachtszeit auch gefragt, warum ich gerade dieses düstere Stück so gerne machen will. Es war ziemlich spannend, darüber zu diskutieren. Lulu ist eben für mich kein Monster. Lulu ist ein Mensch. Ich denke nicht, dass sie nur manipuliert oder nur einem Plan folgt. Sie ist sehr klar darin, was sie machen will und tut es dann einfach.

In Alban Bergs Oper nach Frank Wedekinds Dramen machen sich alle Männer ein Bild von Lulu und jeder gibt ihr einen anderen Namen. Wer ist Lulu für dich?
Everyone. Sie kann jede/r sein. Vielleicht ist sie auch nicht Lulu oder Eva oder Mignon, wie sie im Stück genannt wird. Sie ist eine junge Frau, die versucht, die Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, zu nutzen. Aber darin bleibt sie ehrlich und menschlich. Die Männer um sie herum projizieren alle Wünsche und Sehnsüchte auf sie. Lulu selbst versucht einfach, in dieser Welt zu bestehen.

Im Prolog wird sie als Schlange und „Urgestalt des Weibes“ vorgestellt, in der Rezeption als die „femme fatale“ schlechthin verstanden. 
Mit dem Begriff der femme fatale kann ich gar nichts anfangen. Wenn man sie nur als solche liest, dann ist es vielleicht für 15 Minuten interessant, aber nicht mehr. Lulus Geschichte ähnelt der von Don Giovanni. Wenn wir – wie Karsten Wiegand über Don Giovanni sagte – die Geschichte nur als eine moralische behaupten, dann bleiben viele Facetten auf der Strecke. So ist es auch mit Lulu. Sie ist kein Opfer, sie ist keine böse Intrigantin. Lulu bleibt rätselhaft, du kannst nicht genau sagen, wer sie ist und woher sie kommt. Wir steigen an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben ein und sehen, wie sie kämpft. Es kostet sie im Laufe des Stückes viel Kraft, weil sie viel Energie in andere steckt.

Juliana Zara als Zerlina (C) Nils Heck

Berg starb noch vor Vollendung des 3. Aktes und hinterließ lediglich Skizzen, die Friedrich Cerha 1979 zu einer vollinstrumentierten Fassung ausarbeitete. Diese werden wir spielen.
Meine Erfahrung mit dem dritten Akt: Es ist nicht mehr die Lulu, die wir aus den ersten beiden Akten kennen. Man hört, wie alles auseinanderfällt. Gesangslinien sitzen nicht mehr richtig, das Orchester klingt anders. Alles steht Kopf, wie Lulus Leben eben auch. Sie hat die Fäden nicht mehr in der Hand. Sie rückt aus dem Zentrum, verschwindet aus dem Bewusstsein der anderen. Ich spüre bei ihr eine Nervosität, eine Angst, die sie vorher nicht hatte.

Ist Lulu noch ein Phänomen, das wir auch auf heute übertragen können?
Ich kannte einen wie „Lulu“. Er war einer meiner ersten besten Freunde in Deutschland, damals in Berlin. Er war sehr gutaussehend, immer extrem gut gekleidet in Designerklamotten, einfach ein wunderschöner schwuler Mann. Wir haben über eineinhalb Jahre viel Zeit miteinander verbracht: Er zeigte mir die besten Restaurants, die schönsten Bars. Alle, die ihn kannten, liebten ihn. Wenn er bei dir war, dann zu hundert Prozent. Darin war er ehrlich – wie Lulu. Ich war nie bei ihm Zuhause. Aber ich lernte die Männer kennen, mit denen er etwas hatte. Immer der gleiche Typ: etwa 45 bis 50 Jahre alt, großgewachsen, skandinavisch aussehend und reich. Später fand ich heraus, dass er die ganze Zeit in Berlin auf der Straße gelebt hatte und er sechs Beziehungen gleichzeitig mit diesen Männern führte, dass er nie einen Job hatte (obwohl ich ihn damals zu seiner angeblichen Arbeitsstelle begleitet habe, was auch sein Linked-In Profil besagte). Er war eine Fake-Person. Ich musste jetzt, als ich mich so intensiv mit Lulu beschäftigte, wieder an ihn denken. Manche Leute tun verrückte Dinge, wenn sie es tun müssen. Das brachte Lulu für mich in die Realität.

Was sind die musikalischen Herausforderungen an der Partie?
Es gibt keinen Moment zum Durchatmen. Die Energie muss immer oben bleiben. Aber das ist von Berg so intendiert. Denn auch Lulu als Figur kommt nie zur Ruhe.  Am Ende wird es zwar leicht und wie Puccini klingen, aber es wird immer Arbeit sein. Es ist ein Meisterwerk, weil man darin immer wieder etwas Neues entdeckt. Für mich ist es eines der besten Musiktheaterwerke überhaupt. Wenn man Theater liebt, sollte man dieses Stück unbedingt sehen.

Lulu