Dramaturgin Karin Dietrich im Gespräch mit Ballettdirektor Tim Plegge über das neue Handlungsballett LILIOM

Du legst deiner Kreation das 1909 entstandene Schauspiel LILIOM von Molnár zugrunde, das einen Blick hinter die Fassade der bürgerlichen Gesellschaft wirft. Was fasziniert dich an dem Stoff?
Ich suche immer nach starken emotionalen Zuständen oder Verläufen. Bei LILIOM fand ich es eine choreografische Herausforderung, herauszufinden, wie sich die Sprachlosigkeit der beiden Protagnisten körperlich verorten lässt. Außerdem interessiert mich bei LILIOM die Frage, ob wir uns aus unseren Mustern befreien können oder ob wir in dieser Lebensspirale gefangen bleiben. Es ist ein zeitloser, heute sogar wieder ganz aktueller Stoff, wie nicht zuletzt die unlängst erschienene Studie zum Thema „Häusliche Gewalt“ erschreckend klar macht.

Die Figuren sind nicht schwarz-weiß entworfen. So ist LILIOM nicht nur der grobschlächtige Hallodri, dem die Hand ausrutscht, sondern eben auch der junge Kerl, der überfordert ist mit der Verantwortung und Verbindlichkeit, der er sich stellen muss, als Julie ein Kind erwartet.
Molnár gestaltet seine Figuren sehr differenziert aus und erreicht dadurch eine faszinierende Tiefenschärfe. Jeder hat seine emotionalen Gründe für seine guten Seiten wie für die negativen Ausschläge. Diese Tiefenschärfe versuchen wir auch in der Körpersprache der einzelnen Figuren zu finden. Spannend ist auch, dass das Stück zwar LILIOM heißt, aber dass es letzten Endes vor allem um das Schicksal von Julie geht, die wir im Ballett ins Zentrum rücken. Wir beginnen und beenden den Abend mit ihr.

Du hast für LILIOM, das vom großen Orchester begleitet wird, Werke von Komponisten ausgewählt, die sich im weitesten Sinn an der Schwelle zum 20. Jahrhundert bewegen und große romantische Bögen mit Irritationen und Brüchen verbinden.
Mir war es wichtig, dieses tiefe poetische Gefühl, die starken Emotionen zu zeigen, aber auch die Zerrissenheit und das Unschöne. Und das jeweils eine im anderen. Es sollten sich Ebenen überlagern und Dinge gleichzeitig erzählt werden. Wir haben unglaublich schöne, intensive Musik ausgesucht, versetzt mit rauen, irritierenden Momenten, die wie das Schauspiel hinter die Fassade schaut und aufzeigt, wo es bröckelt.


LILIOM

Premiere am 22. Februar