Zum Saisonauftakt inszeniert Ring-Award-Preisträger Valentin Schwarz Puccinis Turandot

   

„Keiner soll mich jemals besitzen!“ – in diesem Credo der atemberaubend schönen Prinzessin Turandot sieht der fremde Prinz Calaf nichts anderes als eine Herausforderung. Als einzigem Bewerber gelingt es dem Unbekannten, die drei Rätsel der chinesischen Thronfolgerin zu lösen. Als Bonus winkt ihm die Herrschaft über das gesamte Kaiserreich, während ihm im Falle seines Scheiterns die Todesstrafe sicher gewesen wäre. Als die verzweifelte Prinzessin ihren Vater vergebens um Gnade anfleht, dreht der Tartarenprinz den Spieß um: Er weigert sich, die „von Eis umgürtete“ Braut zur Heirat zu zwingen. Stattdessen stellt er Turandot vor die Aufgabe, nun ihrerseits ein Geheimnis zu lüften. Sofern es ihr gelänge, ihm seinen Namen bis zum nächsten Morgen zu nennen, werde keine Hochzeit gehalten, sondern vielmehr das Todesurteil an Calaf vollzogen. Fraglich scheint die (scheinbare) Großzügigkeit des Fremden angesichts seiner Siegesgewissheit.

Die von der chinesischen Prinzessin angeordneten rastlosen Nachforschungen nach dem Namen des principe ignoto boten Giacomo Puccini die Hintergrundfolie für die wohl berühmteste Arie der Opernliteratur: das von Calaf im dritten Akt als Beschwörungsformel angestimmte „Nessun dorma“, das in seinem glanzvollen „vincerò!“ (ich werde siegen) gipfelt. Selten führte Wagemut auf direktem Wege zur buchstäblichen Kopflosigkeit wie in der Märchenkomödie von Carlo Gozzi (1762), die wiederum Basis war für Friedrich Schillers „Turandot“ (1802). Jene exotische Märchenkomödie, in der Übersetzung von Andrea Maffei, bot auch die Grundlage für das von Giuseppe Adami und Renato Simoni erstellte Libretto, dessen Vertonung Puccini ab 1920 für vier Jahre lang und damit bis zu seinem Tod beschäftigen sollte. Die Arbeit des Komponisten blieb unvollendet. Es lässt sich nur mutmaßen, ob eine künstlerische Schwäche oder aber der körperliche Verfall der Grund dafür war, dass Puccinis letzte Oper 1926 als Torso uraufgeführt wurde. Dramaturgische und kompositorische Schwierigkeiten ergaben sich aus der Figurenentwicklung: Als grausame Rache für die Schändung ihrer Urahnin fordert Turandot die Enthauptung aller gescheiterten heiratswilligen Prinzen. Ihren Wandel zu einer liebenden Frau, die in Calaf nicht nur ihren Ehemann anerkennt, sondern ihre Liebe zu ihm entdeckt, barg für die glaubhafte musikalische Umsetzung größtmögliche Tücken. Mühelos hingegen ersann Puccini eine rührende Musiksprache für die unglücklich liebende Sklavin Liù.

Ihre Opferbereitschaft sowie ihr altruistischer Verzicht treiben sie bis in den Freitod, der gleichzeitig Wegbereiter ist für die von Calaf ersehnte Vereinigung mit Turandot. „Das Antlitz, das du siehst, ist Täuschung.“ In jener warnenden Botschaft der drei Minister Ping, Pang, Pong findet sich der Schlüssel zu Valentin Schwarz’ Regiekonzept, der gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Andrea Cozzi nach „Ein Maskenball“ mit „Turandot“ seine zweite Arbeit am Staatstheater Darmstadt präsentiert. In Schwarz’ auf Puccinis Partitur basierenden Interpretation wird Calaf in seine eigene Vision von Turandot hineingesogen. In einer überschwänglichen Allmachtsfantasie riskiert er nicht nur seine Existenz, sondern nimmt ebenso Liùs Selbstmord billigend in Kauf, der den Schlusspunkt des noch von Puccini vertonten Teil des III. Aktes bildet. (Steffi Mieszkowski)


Turandot