Zwei musikalische Meisterwerke des 20. Jahrhunderts suchen nach Antworten auf existenzielle Fragen des Menschseins

Mai 1967: Die Bundesrepublik begeht das Ende des Zweiten Weltkriegs mit einer Deutsch-Amerikanischen-Freundschaftswoche. Viele Studenten demonstrieren jedoch lieber „USA-SA-SS“ skandierend gegen den Krieg in Vietnam. Ehemalige Emigranten mahnen, die USA hätten Europa vor totalitärem Terror gerettet; Bundeskanzler Kiesinger, einst Mitglied der NSDAP, ist an die eigene Jugend erinnert: Die Studenten seien politisch so arrogant, wie er um 1930.

Ein Jahr später ist Studentenführer Rudi Dutschke bei einem Attentat schwer verletzt, zwei Menschen beim Münchener „Osteraufstand“ von Pflastersteinen getötet worden. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund, in dem sich auch für ihn Geschichte zu wiederholen scheint, schreibt Bernd Alois Zimmermann 1967 – 69 sein „Requiem für einen jungen Dichter“. Kurz nach der Uraufführung nimmt er sich das Leben.

Er hinterlässt eine faszinierende Fortschreibung der traditionellen katholischen Totenmesse mit revolutionären kompositorischen Mitteln. Zimmermann setzt nicht nur drei Chöre, ein riesiges Orchester, Bariton, Sopran, zwei Sprecher und ein Jazzquintett ein, sondern arbeitet auch mit sich überlagernden Tonbandzuspielungen, die auf acht Lautsprecher rund um das Publikum verteilt sind. Methoden von Avantgardedichtern wie Kurt Schwitters, James Joyce oder Hans Henny Jahnn radikalisierend, bei denen Worte Musik werden und neue, assoziative Bedeutungsgefüge jenseits der Alltagssprache entstehen, macht er literarische Texte, philosophische Abhandlungen und politische Reden zu kompositorischem Material einer Musik aus Worten, Klängen und Bedeutungsassoziationen. Mehrere Vergangenheiten werden gleichzeitig Gegenwart und wir Zuhörende Teil der
geschichtlichen Erfahrung des 20. Jahrhunderts mit ihrem Strudel aus Hoffnung, Gewalt, Enttäuschung. Wladimir Majakowskis höhnischer Nachruf auf Sergei Jessenin – wohl der titelgebende „junge Dichter“ – wird Zimmermann zum Ausgangspunkt für eine Erzählung über unentrinnbare geschichtliche Wiederholung: Zunächst Anhänger der Oktoberrevolution, hatte Jessenin sich 1925 30jährig desillusioniert das Leben genommen. Majakowski folgte ihm 1930 in den Freitod.

Hinzu tritt Konrad Bayer, der sich 1963 31-jährig tötete. Zwei seiner Texte fordern besonders textverständlich eingesetzt dazu heraus, sich zu Freitod und gesellschaftlicher Entwicklung zu positionieren. Wohl mit Folgen für Zimmermann selbst …
Gegen dessen Hoffnungslosigkeit setzt Regisseur Karsten Wiegand Morton Feldmans „Rothko Chapel“ von 1971. Sie gestaltet Stille mit Tönen und ist inspiriert von der Wirkung nichtgegenständlicher Bilder, die Mark Rothko für eine überkonfessionelle
Kapelle in Texas schuf. Rothkos Sohn schrieb über sie: „An diesem Ort begegnen Sie ihrem eigenen Ich, bieten ihm vielleicht die Stirn […], um Ihren inneren Stimmen zu lauschen, Ihre Ängste und Ihre Erfüllung zu erkennen.“


Requiem für einen jungen Dichter / Rothko Chapel 
Doppelabend / Lingual von Bernd Alois Zimmermann / Szenische Erstaufführung / Komposition von Morton Feldman / in deutscher Sprache / ab 14 Jahren

M U S I K A L I S C H E L E I T U N G Karsten Januschke
R E G I E & B Ü H N E Karsten Wiegand
KO S T Ü M Judith Adam
L IC H T Reinhard Traub
V I D E O Marcel Klar
D R A M AT U RG I E Mark Schachtsiek
E I N S T U D I E RU N G C H O R Alice Meregaglia

Premiere am 02. Oktober, 19:30 Uhr / Großes Haus
Weitere Vorstellungen am 12. und 26. Oktober, 8. November

In Kooperation mit dem Konzertchor Darmstadt e.V. und dem Symphonischen Chor Bamberg / Gefördert durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain