Antje, wie kam es zu dieser Stoffauswahl?
„Annette“ wurde mir vom Theater vorgeschlagen, ich hatte das Buch zuvor noch nicht gelesen. Mich hat der Text vom ersten Satz an berührt, v. a. Anne Webers vorsichtige Annäherung an diese ungewöhnliche Biografie. In der Sprache ist immer auch die Möglich- keit mit eingeschlossen, alles könnte anders gewesen sein. Ich lese darin für mich das Wissen darum, dass man das Leben eines anderen Menschen sowieso nie wirklich verstehen oder gar beschreiben kann, weil das Leben am Ende mehr ist als nur faktische Taten. Es besteht aus gelebten Gefühlen, Erinnerungen und Entscheidungen. Diese inneren Vorgänge kann auch eine Autorin nur vermuten. Das gefällt mir, weil ich es als ehrliche Herangehensweise empfinde.
Welche Arbeit geht der Inszenierung voraus? Wie hast Du Dich Beaumanoir genähert?
Ich recherchiere für diese Inszenierung schon lange, zum Zeitpunkt der Premiere werden es anderthalb Jahre gewesen sein. Da der Text für mich nicht nur eine Biographie, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte ist, habe ich zunächst viele Ereignisse recherchiert, auf die Anne Weber mal ausführlicher, mal kürzer verweist. Ich bin auch vergangenen Sommer nach Dieulefit gefahren und habe mir die Gegend angesehen, in der „Annette“ gewohnt hat und habe mit Menschen gesprochen, die sie kannten. Neben dem Roman habe ich Interviews und Publikationen über sie gelesen und kenne einige Videointerviews mit ihr.
Ist Anne Beaumanoir eine „Heldin“ für Dich bzw. ein Vorbild für uns?
Ein guter Freund von Anne Beaumanoir, mit dem ich sprach, erzählte, dass sie selbst das Wort „Heldin“ angeblich vehement zurückgewiesen habe. Ich selbst bin auch kein Fan von Held*innen oder dem Wort. Ich bin da also mit ihr auf einer Linie, dass man manchmal schwierige und auch riskante Entscheidungen fällen
muss, da man sonst mit sich selbst, dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden und der eigenen Menschlichkeit in Konflikt gerät. Das hat mehr mit Integrität als mit Heldentum zu tun. Eine Vorbildfunktion hat ihre Sensibilität für systemische Gewalt aber allemal, auch dass sie bis ins hohe Alter an Schulen fuhr, um mit jungen Menschen zu sprechen und sie für ebensolche zu sensibilisieren.