Michael Deschamps (MD): Neben mir steht Alexander Kohlmann, der neue Schauspieldirektor vom Staatstheater Darmstadt. Und wir wollen ihm zur Begrüßung ein paar Fragen stellen.
Inwieweit trägt denn der neue Spielplan schon deine Handschrift?
Alexander Kohlmann (AK): Na ja, wir haben ja schon ein Jahr lang vorbereitet, also im Prinzip sind wir – also ich und das Team – schon ein Jahr am Arbeiten an diesem Spielplan, und das ist komplett unser Spielplan, quasi unser Einstieg hier am Haus. Umso schöner ist es.
Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn man so ein Jahr im Verborgenen durch die Gegend gefahren ist und sich Sachen angeschaut hat, während das Team davor ja auch eine sehr gute Arbeit geleistet hat, dann ist es jetzt natürlich besonders schön, dass das alles real wird.
Und da war natürlich die erste wichtige und große Premiere für uns „Macbeth“, wo etwas passiert ist, das man selten hat: dass es einerseits einen riesigen Publikumszuspruch gibt – was mich total glücklich macht, es ist, glaube ich, fast bis zum Ende der Spielzeit ausverkauft.
Also die Leute scheinen Lust zu haben auf große Klassiker, die man hier erleben kann. Und gleichzeitig ist das auch so ein Abend, der viel Aufmerksamkeit außerhalb von Darmstadt auf uns gelenkt hat. Also viele Menschen aus Deutschland haben Lust, sich das mit den Darmstädter:innen gemeinsam hier anzuschauen. Da kann ich auch sagen: Was will man mehr?
MD: Tolles Debüt.
AK: Ja, ist schön. Freuen wir uns alle sehr.
MD: Gibt es denn einen Unterschied zwischen dem Theater und dem Schauspiel und dem Publikum in Ost- und Westdeutschland? Oder kannst du es noch nicht beurteilen?
AK: Nach der kurzen Zeit glaube ich, ist das sehr schwer zu sagen. Ich glaube, was man sagen kann, ist, dass natürlich die verschiedenen Regionen in Deutschland eine unterschiedliche Geschichte haben. Also das Theater in Westdeutschland ist ja durch sehr große Debatten gegangen. Ich erinnere nur an die Zeit, die ich aus der Theaterwissenschaft kenne – also vor meiner eigenen Erlebenszeit – die großen Debatten um das Regietheater, Leute wie Peter Zadek, die das Theater hier sehr reformiert haben und die auch mit dem Publikum sehr, sehr große, ausschweifende Debatten darüber geführt haben, was Theater sein kann.
Und ich glaube, da kann man in Darmstadt sehr anknüpfen, dass wir ein sehr neugieriges Publikum haben, ein sehr offenes Publikum, das Lust hat auf verschiedene Formen und diese Idee mit uns mit lebt, dass man sich immer wieder neu überraschen kann. Nur langweilig soll es natürlich nie sein.
MD: Normalerweise fragt man, was denn das Publikum vom Schauspieldirektor erwartet. Aber was wünscht sich denn der Schauspieldirektor von seinem Publikum?
AK: Also, ich wünsche mir wirklich neugierige Menschen. Leute, die Lust haben, mit uns hier ihre Freizeit zu verbringen, und ich glaube, das Wort „Lust“, das kann man sehr großschreiben. Theater ist wirklich etwas, da sollte man nur hingehen – oder wir wollen die Leute dafür begeistern –, wenn man dort gemeinsam einen guten Abend haben kann. Und davon ausgehend passieren dann all die anderen Dinge: dass man Lust hat, ins Gespräch zu kommen, dass man Lust hat auf politische Themen, dass man Lust hat, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, zu diskutieren. Aber dass man wirklich eine Haltung mitbringt, die hier dazu beitragen kann, dass gemeinsam etwas gelingt. Denn, ganz ehrlich: Ohne das Publikum funktioniert gar nichts.
Theater ist eine tolle Kunstform. Wenn Sie ein Bild malen, können Sie das einfach zu Hause malen und sich hinstellen. Aber all das, was wir tun – all das, was wir auf der Bühne machen, was unsere Regisseurinnen machen, was unsere Dramaturginnen sich ausdenken – funktioniert nur, wenn wir ein aufgeschlossenes Publikum haben, das mit uns gemeinsam neugierig und voller Lust diesen Weg geht.
MD: Sind die aktuellen Entwicklungen in der politischen Landschaft in der Bundesrepublik nicht auch ein Handlungsauftrag für das Theater? Wo siehst du den gesellschaftlichen Auftrag des Theaters zur Förderung von Demokratie in unserem Land?
AK: Ich glaube, was viele erleben, ist eine enorme Fragestellung der Gewissheiten, die wir in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben. Lange Zeit hat man ja gedacht, die Geschichte des Westens, die Geschichte der freien Welt, die sich auszeichnet durch Meinungsfreiheit, Freiheit der Gerichte, freie Wahlen, das wäre so in die Ewigkeit gegossen. Und jetzt sehen wir eigentlich, dass diese westliche Welt, die wir leben, von allen Seiten brennt, dass sie verteidigt werden muss.
Und wir können uns fragen, woher diese Welt eigentlich kommt. Wenn man jetzt auf die Kulturgeschichte schaut, ist die Freiheit der Kunst nicht der alleinige, aber auch ein Baustein dieser freien Welt. Da sind die Theater ganz wichtig, weil in den Theatern immer auch Werte und Ideen des Zusammenlebens verteidigt werden. Und das tun wir hier, und das ist überhaupt nicht zu trennen von dem, was um uns herum passiert.
Ich will nur ein Beispiel nennen: Wenn wir hier einen Roman befragen wie „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi, der an sich durch seine Existenz schon ein Beweis ist für eine gesamteuropäische Kulturgeschichte bis hin nach Russland, und ihn befragen vor dem Hintergrund der furchtbaren Entwicklung, die dieses Land nimmt, vor dem Hintergrund des furchtbaren Angriffskriegs, der uns als westliche Welt herausfordert, dann tun wir ja genau das, was diese Diskussion, die die ganze Gesellschaft immer wieder neu führen muss, ausmacht.
Dann geht es im Theater auch darum, dieses Gemeinwesen immer wieder neu zu formieren, in dem wir uns befinden – gerade vor dem Hintergrund der Angriffe von den extremen Rändern, die wir im Moment erleben müssen. So möchte ich es mal sagen.
MD: Ok, ich wünsche dir eine glückliche Hand. Ich freue mich auf die Zeit mit dir hier in Darmstadt.
AK: Ich freue mich auf euch und gerne ansprechen. Wir haben einfach Lust, uns zu unterhalten und in die Diskussion zu kommen.
MD: Dankeschön.