Vor dem internationalen Durchbruch der heutigen Star-Choreografin Sharon Eyal, im Jahr 2011, war ihre Bewegungssprache – hypnotische Gruppenformationen, technoide Beats, fluides Körperbild zwischen Ekstase und Disziplin – ein Novum. Heute hat Eyal diese ästhetische Handschrift perfektioniert, die sie zu einer der führenden zeitgenössischen Choreograf*innen macht. In „Corps de Walk“ sind die ersten Ansätze
davon bereits zu erkennen. Die Wiedereinstudierung beim Hessischen Staatsballett erlaubt somit einen einordnenden Blick auf das Werk und die Bewegungsästhetik im Kontext jüngerer Tanzgeschichte.
Die Ästhetik speist sich aus verschiedenen Einflüssen, darunter klassisches Ballett. „Corps de Walk“ zeugt
davon im Titel – der auf den Gemeinschaftskörper des „corps de ballet“ anspielt – und in den vielen Formationen, die klassisches Repertoire mit zeitgenössischen Techniken und musikalischen Rhythmen zu einem hochartifiziellen Gesamtkunstwerk verbinden. Lichtführung und enganliegende Kostüme betonen die Präsenz der Tänzer*innen, wirken für die Bewegung im Verbund mit der Musik wie maßgeschneidert. Choreografisch ist das Stück in Schichten aufgebaut: Kanonartige Repetitionen verbinden Bewegungen und Variationen des ebenfalls im Titel anklingenden Gehens (Englisch: „walk“) zu einem komplexen Bewegungsgebilde, das in Einklang mit Ori Lichtiks furioser Musik jede Wiedereinstudierung herausfordernd macht – besonders für Olivia Ancona, die das Stück an die Tänzer*innen des Hessischen Staatsballetts vermittelt hat,ohne es selbst getanzt zu haben: „Ich arbeite das Material schrittweise durch und zerlege
die verschiedenen Ebenen, aus denen jedes Stück besteht. Ich bereite mich monatelang vor, um jede Bewegung, jedes Zählen, jede feine Nuance im Ausdruck zu lernen und die spezifischen Qualitäten des Stücks zu verstehen. Ich vermittle das Material in Schichten – zuerst die Bewegungen im Zusammenhang mit den Zählzeiten, dann die Qualitäten und wie man diese körperlich umsetzen kann. Durch Wiederholung üben wir, auf das zu hören, was das Material in uns auslöst, und lernen so nicht nur die Bewegungen, sondern auch die Abschnitte des Stücks immer besser kennen.“
Ein Prozess, der für die Tänzer*innen niemals endet. Kein Wunder, dass das Stück für Ancona auch jenseits
der Bühne nachklingt: „Sharons Werke erfordern eine intensive Konzentration und Präsenz – was bedeutet, dass obwohl die ‚Partitur‘ festgelegt ist, das Erleben der Schritte bei jeder Wiederholung anders sein wird. Unser Ziel ist es, auf dieses innere Erleben zu hören – um der Lebendigkeit willen, für uns und letztlich auch für das Publikum.“ Beginnend mit seiner Darmstädter Premiere zum Abschluss des Tanzfestivals Rhein-Main am 15. November kann sich jeder selbst ein Bild davon machen, was es bedeutet, „Corps de Walk“ zu erleben.
Corps de Walk
von Sharon Eyal
CHOREOGRAFIE & KOSTÜME Sharon Eyal & Gai Behar
MUSIK Ori Lichtik
LICHT Alon Cohen
LICHTASSISTENZ Henry Rehberg
KOSTÜMASSISTENZ Ivet Duran Murillo
EINSTUDIERUNG Olivia Ancona
PROBENLEITUNG Allison Brown
Premiere am 15. November | Großes Haus
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