Wolfgang Herrndorfs Kultroman "Tschick" als Oper

Zwei Jugendliche auf der Suche nach Freiheit, ein geknackter Lada, ein unvergesslicher Trip durch die sommerglühende Landschaft: Wolfgang Herrndorfs Coming-of-Age-Roman erzählt die außergewöhnliche Freundschaft zwischen Maik, einem einsamen Jungen aus bürgerlichen Verhältnissen, und Tschick, einem Spätaussiedlerkind aus Russland. Gemeinsam erleben sie einen turbulenten Sommer und stellen sich
dabei den großen Ängsten, Sehnsüchten und Fragen, die die Pubertät begleiten. Im Februar feiert „Tschick“ als Oper Premiere: Die Ensemblemitglieder und Hauptdarsteller David Pichlmaier (Maik) und Georg Festl (Tschick) erzählen, welche Jugenderinnerungen dabei wach werden.

Was ist euch in besonderer Erinnerung geblieben, als ihr den Roman zum ersten Mal gelesen habt?
GF Für mich spiegelt die Geschichte ein enormes Freiheitsgefühl wider: die Fahrten, die Weite, auf eigene Faust loszuziehen…
DP Interessant, dass du das sagst, denn ich habe mich im Gegenteil besonders gut identifizieren können mit den Anfangsszenen, die in der Schule spielen. Dort fremd zu sein, hinter den anderen herzudackeln, dazu gehören zu wollen, aber nicht wirklich Anschluss zu finden. Und plötzlich macht es Klick – und alles ist ganz einfach.

Kommen euch bei den Proben automatisch Erinnerungen an die eigene Jugend in den Sinn?
GF Sicher ruft man sich in Erinnerung, was man in dem Alter selbst erlebt hat. Und viele Fragen, die ich mir in dem Alter gestellt habe, begleiten mich heute noch. Bei den szenischen Proben denke ich aber nicht daran, dass ich einen Vierzehnjährigen spiele. Vielmehr bin ich ein jugendlicher, unerfahrener, wissbegieriger Junge, der viel erleben will.
DP Nein, das wäre ja auch peinlich! Ich bewege mich wie ein Vierzigjähriger und versuche dabei nicht in den Körper eines Teenagers zu schlüpfen. Trotzdem sieht es unfreiwillig sicher manchmal so aus, als ob ich nicht so richtig wüsste, wohin mit meinen Gliedmaßen. Wir spielen so, wie wir sind, und jeder trägt ja noch ein bisschen Kindheit in sich. Das ist wichtig für den Beruf.

Was zeichnet die Hauptfiguren Tschick und Maik aus?
GF Auf den ersten Blick wirkt Tschick wie ein Draufgänger, der immer sein eigenes Ding durchzieht. Bei genauerem Hinschauen entpuppt er sich aber als sehr empathisch. Er kann sich unwahrscheinlich gut in Maik hineinversetzen und er weiß, wie er ihn triggern muss. Das gelingt ihm, weil er eine Cleverness besitzt,
ja sogar eine gewisse Weisheit. Er ist lebenserfahrener und reifer als Maik, gerade weil er immer so auf sich alleine gestellt war und sich um sich selbst kümmern musste. Dadurch hat er sich allerdings auch einen dicken Panzer zugelegt, weil er vieles, das auf ihn einprasselt, gar nicht an sich heranlassen kann.
DP So einen Panzer trägt Maik auch, beide sind auf ihre Art Einzelgänger. Maik jedoch wurde ganz anders sozialisiert: Er ist viel komfortabler aufgewachsen als Tschick, hatte aber auch nicht diese Freiheit und keine Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Von seinem Vater wurden ihm die ganze Zeit nur Grenzen gesetzt. Maik lebt in sich zurückgezogen, er hat keine richtigen Freunde, das Elternhaus liegt im Nirgendwo, er kennt seine Fähigkeiten überhaupt nicht. In diesem Zustand der Hilflosigkeit taucht Tschick auf, der etwas vom Leben versteht, und der ihn ganz unkompliziert an die Hand nimmt. Er ist für ihn wie ein Katalysator zum Erwachsenwerden.

   

Habt ihr in eurer Jugend einen Roadtrip gemacht, der euch an „Tschick“ erinnert?
GF Ich muss oft an meinen Roadtrip durch die USA denken, den ich gemeinsam mit einem Freund gemacht habe als ich einundzwanzig Jahre alt war. Wir sind die Westküste entlang gefahren – endlose Straßen, du denkst, das hört nie auf! Und eines Tages sagt mein Kumpel: „Wenn wir in San Francisco ankommen, dann will
ich mir ein AC/DC-Tattoo stechen lassen“. Ich fand das damals die beste Idee, die er jemals hatte, und er hat sich dann wirklich den Gitarristen von AC/DC über seinen kompletten Oberarm stechen lassen. So etwas passiert aus einem großen Gefühl der Freiheit heraus, Zuhause wäre er dazu wahrscheinlich viel zu vernünftig gewesen. Sein Tattoo ist zum Symbol geworden für diesen unglaublichen Trip.
DP Meine Erinnerung an die erste Fahrt ohne Eltern oder Lehrer ist eine Reise nach Polen in der 10. Klasse mit meinen zwei besten Freunden. Wenn man das erste Mal alleine ganz weit weg ist, in einem fremden Land, nimmt man alles viel extremer wahr: die Temperaturen, die Menschen, die Erlebnisse. In einem alten Dieselbus
haben wir bei Eiseskälte einen Ausflug aufs Land gemacht. Plötzlich fing hinten einer an zu schreien: Die Heizung brannte und qualmte wie verrückt. Der Busfahrer ist in aller Seelenruhe ausgestiegen und hat den Brand gelöscht. Dann sind wir einfach weitergefahren! Das kam mir damals unglaublich anarchisch vor. 

(Das Interview führte Carolin Müller-Dohle)


Tschick