Recherche zu "Amsterdam"

Schauspieldramaturg Oliver Brunner: Wie habt Ihr Euch als Produktion dem Thema gelebtes jüdisches Leben in Deutschland 2022 angenähert?

Regisseurin Julia Prechsl: Mir war es wichtig, zunächst einen gemeinsamen Erlebnis- und Erfahrungsraum zu schaffen, auf den wir innerhalb der Proben zurückgreifen können. Wir haben viel Zeit mit gemeinsamen Diskussionen verbracht und Exkursionen unternommen, unter anderem zur Jüdischen Gemeinde in Darmstadt, die uns eine sehr informative Führung durch das Gemeindezentrum und die Synagoge ermöglicht hat. Und wir haben die Sonderausstellung „Rache“ im Jüdischen Museum in Frankfurt besucht.

Hast Du schon mal nach der Geschichte Deines Altbaus, in dem Du lebst, geforscht? Ich wohne tatsächlich in einem Altbau in München, in einem sehr von Umbrüchen geprägten Viertel, habe aber nicht – zumindest nie bewusst – nach der Vergangenheit dieses Gebäudes geforscht. Wir haben einige sehr alte Bewohner*innen in unserem Haus, unter anderem einen Nachbarn, der noch den Mietvertrag seines Vaters aus den 1930er Jahren weiterführt. Da werde ich nach unserer Premiere sicherlich das Gespräch suchen.

Was bedeutet für Dich Erinnerung? Das ist ein wahnsinnig weitläufiges Feld, das wahrscheinlich auf ebenso vielen Ebenen stattfindet. Ich weiß nicht, ob ich das so genau zusammenfassen kann, weil das Entscheidende an jeder Erinnerung ist, dass sie sich so individuell zusammensetzt, wie der Moment in dem sie entstanden ist. Es gibt Situationen, die begegnen mir durch Gerüche wieder, es gibt Erlebnisse, die wie Videosequenzen in meinem Gedächtnis bleiben, und es gibt Erinnerungen, die einzig und allein durch die Erzählung am Leben bleiben.

Was ist das Besondere am Stück „Amsterdam“ für Dich? Ich glaube, es gibt vieles an diesem Text, das mich fasziniert. Der größte Aspekt ist die Verlässlichkeit, die dieser Gegenwartstext mit sich bringt. Ein Text, der sich an komplexen Themen und an Problematiken unserer Gegenwart abarbeitet. Und ein Text, der es schafft, sie in ihrer Komplexität und Konkretheit zu belassen und nicht zu simplifizieren.

Du hast mit Chris-Pascal Englund-Braun einen Tänzer und Choreographen im Team. Warum? Maya Arad Yasur hat einen Text geschaffen, der wie ein dichtes Sprachorchester die großen Fragen der Zentralfigur, der Musikerin verhandelt. Ich wollte nach Möglichkeiten forschen, diese textliche Suche nach Sinnhaftigkeit in den Körpern der Spieler*innen zu vergrößern und zu abstrahieren. Chris kommt aus dem Modern Dance und hat eine ganz eigene Art der physischen Interpretation und Choreografie, die immer aus einem organischen, kreatürlichen Vorgang herausentwickelt ist. Maya Arad Yasurs Gedanken mit Chris’ Unterstützung in eine lustvolle physische Übersetzung zu bringen, ist das Thema unserer Proben.

Amsterdam