Wie kann man das Böse vom Guten im Menschen trennen? Der Londoner Arzt Henry Jekyll glaubt, die Antwort gefunden zu haben. Mit Hilfe eines Serums verwandelt er sich in sein böses Alter Ego Edward Hyde, verliert aber zunehmend die Kontrolle über ihn. Alexander Klaws ist am Staatstheater Darmstadt in der Doppelrolle als Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu erleben, seine Ehefrau Nadja Scheiwiller verkörpert die Prostituierte Lucy Harris. Mariela Milkowa hat mit ihnen für den Theaterpodcast „Drama, Baby!“ gesprochen.
Mariela Milkowa: Wie geht es euch mit euren Rollen als Jekyll & Hyde und Lucy Harris, die ihr beide in Darmstadt zum ersten Mal auf der Bühne verkörpert?
Nadja Scheiwiller: Mir geht’s sehr gut damit, für mich ist es nach Corona und zwei Kindern wieder ein krasser Einstieg. Ich habe zwar vorher auch schon kleinere Sachen jetzt gemacht, aber mal wieder so eine krasse Rolle zu spielen – auch mit viel Singen – das macht wahnsinnig viel Spaß. Also ich genieße das, ich fühle die Rolle. Du kannst alles wieder machen: tanzen, sexy sein, du kannst dich austoben, ausleben! Lucy ist Dr. Jekylls Affäre, sie ist gleichzeitig im tiefen Kern ein unsicheres Mädchen und träumt von einem besseren Leben vielleicht als erfolgreiche Tänzerin irgendwo. Sie ist in diesem Nachtclub in der „Roten Ratte“ gefangen und kommt da nicht raus. Und dann kommt dieser Dr. Jekyll ums Eck und behandelt sie nicht einfach wie Dreck und bezahlt sie, sondern sagt: Hey, ich glaube, du kannst mehr, mach doch was aus dir. Ich finde die Rolle richtig toll.
Alexander Klaws: Diese Rolle war eigentlich immer auf Platz eins oder zwei meiner To-do-Liste, weil ich nicht nur die Musik großartig finde. Das Thema an sich ist einfach spannend, weil es, glaube ich, nie alt sein wird – also das Gute vom Bösen zu trennen. Ich glaube, jeder Mensch hat irgendwo auch einen Hyde in sich. Es geht aber darum, wie gehe ich mit dem um?
MM: Bösewichte spielen ist schon das spannendste oder?
Alexander Klaws: Es ist ja eigentlich der erste Bösewicht, den ich jetzt so langsam mal auspacken darf. Ich habe alle Disney-Prinzen, Tarzan und diese Gottheit Winnetou gespielt und ...
Nadja Scheiwiller: Jetzt wird’s mal real ... (lacht)
MM: Also, du meinst, das ist sozusagen die Rolle für ihn?
Nadja Scheiwiller: Ja, ich find’s schon sehr spannend, weil einen Jekyll und Hyde, wie er schon sagt, hat ja jeder irgendwo in sich. Die Frage ist, wie geht man um mit seinen inneren Seiten, Dämonen und Launen? Klar gibt’s da Themen, logisch, wenn man immer auf so einem Stresslevel im Job ist und dann nach Hause kommt. Ich finde die Rolle sehr spannend für dich, und du wolltest sie ja unbedingt spielen, es gibt ja auch einen Grund.
Alexander Klaws: Ja, genau. Aber er ist ein Bösewicht, den man trotzdem sympathisch findet. Er kommt auf die Bühne und ich glaube nicht, dass er jemand ist, wo die Leute sagen – uah – sondern sie fühlen mit ihm. Auch jede böse Rolle hat irgendeine Sehnsucht und irgendeine Emotion, wo man ja auch sagt, der tut mir leid oder den will ich am liebsten umarmen oder der kommt gerade gar nicht klar mit sich. Das spannende ist ja nicht, nur böse zu spielen, sondern, dass man die Leute auf die Reise mitnimmt, die Boshaftigkeit verständlich zu machen.
MM: Mit welchem von beiden — Jekyll oder Hyde — würdest du privat lieber ein Bier trinken gehen?
Alexander Klaws: Ich glaube mit dem Hyde, wie ich ihn spiele, ist nicht gut Bier trinken! Am Anfang mag es den Anschein haben, dass er als Hyde jemand ist, der Gerechtigkeit bringt.
MM: Ja, aber er ist kein Robin Hood.
Alexander Klaws: Nein, eben nicht.
Nadja Scheiwiller: Er ermordet alle die, die sich ihm in den Weg stellen
Alexander Klaws: Genau. Eigentlich ist er ein völlig gnadenloser Killer, der irgendwann seine böse Seite nicht mehr kontrollieren kann. Also: Bier trinken ist da nicht, glaube ich.
MM: Passiert es dir auch manchmal, dass du in den Spiegel guckst und dich fragst: Wer bin ich eigentlich? Jekyll? Hyde? Klaws?
Alexander Klaws: Das ist ganz lustig. Also ich habe ganz oft, gerade aktuell auch in den letzten Jahren, das Bedürfnis gehabt, nicht mehr zu spielen aufgrund dieser Frage. Weil ich irgendwann gar nicht mehr wusste, wer ist denn eigentlich Alexander Klaws? Ich habe halt immer die Rollen gesehen, die ich gespielt habe und wo ich mich dann selbst gefragt habe: was will ich überhaupt? Wer bin ich überhaupt? Und ich glaube, das wird auch irgendwann ein Punkt sein, wo ich dann auch mal wieder meine Musik machen und nicht irgendeine Rolle spielen möchte, wo ich wieder Alexander Klaws sein will auf Bühnen oder auch mal privat, vielleicht mit einem Sabbatjahr. Keine Ahnung, die Frage stelle ich mir grade sehr oft.