Im Gespräch mit den Choreograf*innen David Raymond & Tiffany Tregarthen sowie Eyal Dadon


Force Majeure

Wie drückt ihr das existenzielle Thema „höhere Gewalt“ - wie der Titel "Force Majeure" schon verrät - ästhetisch in eurer Arbeit aus?



Tiffany Wir arbeiten mit dem spannungsvollen Verhältnis von Gegensätzen: Chaos und Ordnung, Kulmination und Trennung, Individuum und Gesellschaft oder Isolation und Verbindung. Das soll sich auch in den szenischen Ebenen ausdrücken, etwa bei der Beleuchtung in der Beziehung zwischen Hell und Dunkel oder beim Rhythmus bezüglich der Fluktuation innerhalb der Zeit, um verschiedene Zustände von schnell oder langsam zu erzeugen.

Und das ganze Spektrum dazwischen, also der Kontrast zwischen schnellen und langsamen Veränderungen, um einen psychologischen Druck oder ein Gefühl vom Vergehen von Zeit zu erzeugen.

David Zeit ist eines der wichtigsten Elemente, über das wir nachgedacht haben; eine Kraft, die eine Art kosmischen, universellen, allumfassenden Einfluss auf uns alle hat. Wir möchten mit Kontrasten arbeiten, um eine Geschichte zu erzählen. Dabei untersuchen wir, wie größere Elemente die kleineren beeinflussen.


Ihr arbeitet sehr viel mit Gegenständen und Bühnenelementen in euren Choreografien. Könnt ihr diesen Ansatz näher beschreiben?

Tiffany David und ich haben viel über Clownerie und Objekte gesprochen, darüber, wie man spielerisch mit einem Gegenstand umgeht, so dass man sich von ihm und seiner eigentlichen Bedeutung emanzipieren kann.

Auf diese Weise benutzen wir zum Beispiel einen Tisch oder die verschiedenen Kostüme auf eine andere Art als üblich. Dadurch entsteht ein dialogischer Prozess, der dich in der Neudeutung der Dinge dabei selbst auch verändert.

David Wir neigen dazu, die Bedeutung der Dinge, mit denen wir arbeiten, durch den Prozess herauszufinden. Je länger wir uns damit beschäftigen, desto mehr fängt die Bedeutung dieser Dinge an, sich in gewisser Weise zu emulieren oder zu verdichten. Manchmal sind die Ausgangspunkte für die Arbeit dabei ganz einfach choreografische Wünsche, mit einem bestimmten Element zu arbeiten. Wir brauchen vielleicht etwas, das am Anfang erst einmal gesetzt wird. Wir probieren es aus und haben dann auch die Möglichkeit, es sein zu lassen.

 

Boléro

Welchen persönlichen Bezug hast du zum Boléro?

Eyal Ich fühlte mich schon immer zu dieser Musik hingezogen, noch bevor ich den Titel Boléro oder den Namen des Komponisten Maurice Ravel kannte. Ich glaube, jeder von uns hat auf die eine oder andere Weise eine Beziehung zu dieser Komposition.

Zum ersten Mal habe ich Boléro in Israel gehört, als ich ein Kind war, in einer berühmten Fernsehwerbung für Schokolade. Ich mochte den Werbespot überhaupt nicht, aber die Musik. Seitdem erinnere ich mich immer wieder daran, wie ich zurückkam, um diese wieder und wieder zu hören. Für mich ist mit der Kreation ein Traum in Erfüllung gegangen.

Ich wollte schon immer recherchieren, was es mit dieser Musik in der Tanzwelt auf sich hat, denn es gibt so viele Choreograf*innen und Tänzer*innen, die sie auf unterschiedliche Weise interpretieren.

Du sprachst von der dunklen Seite des Boléro. Was meinst du damit genau?
Eyal Ich scheine wirklich ein Faible für dunkle Seiten zu haben. Wenn ich mir einen Film anschaue, dann fühle ich mich eher mit den Antagonist*innen verbunden als mit den Superheld*innen. Für mich ist es aber auch eine Frage der Übersetzung.
 

Wenn ich Boléro höre, möchte ich mir das Flüstern der Musik vorstellen, die nicht ausgesprochenen und verbotenen Geheimnisse erfahren, die in dieser Musik verborgen sind. Ich möchte mir vorstellen, wie ich einen geheimen Code darin entdeckt hätte. Das sind nur meine Fantasien, aber es inspiriert mich sehr. Sagen wir, wenn ich Boléro mit Harry Potter vergleichen würde, dann steht Voldemort eher für die Welt, die mich interessiert.


Boléro / Force Majeure