Das Staatstheater Darmstadt trauert um Reinhard Traub - ein Nachruf von Intendant Karsten Wiegand
Aus vielen der berühmten abstrakten Gemälde des US-amerikanischen Malers Mark Rothko scheint eine farbige Fläche zu leuchten. Diese Fläche mit verschwimmenden Rändern zieht das Begehren des Schauens an, aber der Blick der Betrachter findet keinen Halt, es findet nichts, was sie darstellt. Die Wahrnehmung versinkt im Bild und tritt durch die Farbe wie durch ein Fenster in eine andere Welt.
Für unser Opernprojekt mit Morton Feldmanns "Rothko Chapel" suchte ich nach einem Bühnenbild, das zu einem ähnlichen Vorgang aus Begehren, Schauen und innerer Wahrnehmung einlädt. Nach vielen missglückten Ideen sprach ich mit Reinhard Traub, der das Licht zu der Produktion machen sollte. Er sagte: Oft muss man im Theater und vor allem beim Licht das Gegenteil machen, von dem, wonach man sucht. Da war sie die Lösung: Nicht das Gemälde leuchtete auf der Bühne, sondern sein Rahmen. So entstand ein großer Licht-Rahmen aus Leuchtröhren, deren weißes Licht über 25 Minuten unmerklich langsam kälter und wärmer, heller und dunkler, scharf und verschwommen wurde. In dem Rahmen entstand ein Gemälde von tiefem, leuchtendem Schwarz. Ein Gemälde, das die Schauenden immer neu erkennen wollten und das sich zugleich entzog. Der Blick versank in dem leuchtenden, unergründlichen Schwarz. Reinhard Traub war sehr glücklich über den Licht-Rahmen, den wir gefunden hatten, über dieses Gemälde aus Licht und Finsternis.
Am 12.9. ist Reinhard Traub überraschend in Prag bei der Vorbereitung einer neuen Produktion gestorben. Er leitete viele Jahre die Beleuchtungsabteilung der Stuttgarter Oper, er schuf das Licht für viele großartige Aufführungen namhafter Regisseure, arbeitete für die großen Opernhäuser und Festivals der Welt.
Ich hatte das unschätzbare Glück, mehrere Aufführungen mit Reinhard machen zu dürfen. Sein Licht öffnete Räume, Räume von Verdichtung, von Wahrhaftigkeit, Räume, die die Wahrheit des Dramas zuließen. Er leuchtete nicht Realismus, nicht Poesie, sein Licht illustrierte nicht, es verdoppelte nicht, was schon in Musik oder Spiel da war. Sein Licht drückte keine Idee, keine Konzeption aus. Das Licht von Reinhard Traub materialisierte sich. Es war einfach da, stark, richtig und unergründlich. Reinhard war unvorstellbar schnell. Er konnte intuitiv den Glutkern einer Szene erfassen, ohne die Handlung genau zu kennen. Reinhard Traub war ein großer Künstler, ein begnadeter Lichtmaler, den das Drama und die Schönheit des Lebens interessierte.
Am Staatstheater Darmstadt leuchtete Reinhard Traub "Jenufa", "Pnima - Ins Innere" und "Requiem für einen jungen Dichter/Rothko Chapel".
Im nächsten Frühjahr wollten wir zusammen "Die Krönung der Poppea" machen. Wir schrieben im September noch hin und her über die Bauprobe und das Bühnenbild. Und dann antwortete Reinhard nicht mehr.
Ich stelle mir vor, dass Reinhard Traub jetzt in das leuchtende, unergründliche Schwarz in unserem Lichtrahmen hineingegangen ist, von dem niemand weiß, wo es hinführt.
Wir können dankbar das Licht sehen und die Dunkelheit, die er meisterhaft in so vielen Aufführungen hinterließ. Und wir können Reinhard Traub ehren, in dem wir jetzt ohne ihn immer fragen: Wie hätte er das geleuchtet? Es wird ohne ihn niemals so gut sein, aber immerhin die Richtung wird stimmen.
Und wenn wir einmal gar nicht weiter wissen, können wir in Darmstadt den Licht-Rahmen in den Bühnenraum hängen und still sehen, dass Schwarz leuchten kann. Dann werden wir an Reinhard denken und einen richtigen Weg sehen.
Heute findet weit im Süden der Steiermark, wo er so gerne lebte, die feierliche Urnenverabschiedung statt.
Ich bin unendlich traurig. Danke für alles, Reinhard.
Karsten Wiegand