mit Kostümbildnerin Judith Adam

Kostümbildnerin Judith Adam 

Judith, wie sieht normalerweise deine Herangehensweise an ein Kostümbild aus und was macht ihr bei „Don Giovanni“ anders?
Judith Adam:Meistens gibt es eine lange Konzeptionsphase. Ich lese das Stück, ich höre die Musik, ich spreche mit dem Regisseur und es wachsen Ideen. Und wenn ich dann ans Theater komme, bin ich eigentlich mit dem Entwurf fertig und alle Entscheidungen sind getroffen. Ich übergebe ihn an die Werkstätten und der große Tanker Staatstheater läuft los.
In letzter Zeit habe ich etwas bedauert, dann im Prozess nicht mehr so gut handeln oder auf Situationen und Bedürfnisse eingehen zu können. Für „Don Giovanni“ war daher unser Ansatz, offener, spontaner, partizipativer für alle Beteiligten, und auch nachhaltiger arbeiten zu wollen. Ich habe mir folglich nur überlegt, was ein Rahmen sein könnte für die Kostüme und war dann aber vor allem viel auf den Proben und habe beobachtet, wie sich die einzelnen Sänger*innen entwickeln und herausgefunden, was sie jeweils für ihre Rollen brauchen. Ihre Impulse auf der Probe waren meine Impulse bei der Recherche und Suche im Fundus und so ist die Kostümentwicklung ganz lebendig und gemeinsam passiert.

Wie geht ihr mit Doppelbesetzungen (Donna Elvira, Leporello) um?
Der Mensch, der an dem Abend auf der Bühne ist muss seinem Rollenverständnis gemäß richtig angezogen sein und vom Kostüm die richtige Unterstützung bekommen. Und wenn jemand sagt: „Ich sehe die Rolle so“, dann ist das richtig. Und wenn die andere Besetzung sie ganz anders interpretiert, dann ist das doch ganz wunderbar. Denn die Stimmen sind verschieden, das Spiel ist verschieden, es sind zwei verschiedene Frauen, also dürfen sie auch verschiedene Facetten der Rolle zeigen. Und es ist doch schön fürs Publikum, wenn es entdeckt, dass Elvira so aussehen kann oder so.

Wie hat dieser offene Ansatz in unserem großen Betrieb funktioniert?
Ganz fantastisch! Ich bin extrem dankbar für so großartige Kolleg*innen in der Kostümabteilung,  in der Schneiderei und in der Maske, die diesen Weg mitgegangen sind und tolle Ideen beisteuern und entwickeln. Das erfordert ein großes Vertrauen, aber diesen Freiraum zu haben, miteinander das zu gestalten, ist eine ganz große Chance. Denn diese Offenheit, nicht von vorneherein festgelegt zu sein, was es sein muss, ermöglichte, dass wir unglaubliche Schätze aus dem Theater nehmen und umarbeiten konnten.


Donna Anna

Megan Marie Hart:  Judith hat sich toll unseren Körper und Haltungen angeschaut und hat geholfen herauszufinden, was wem am besten steht, welche Silhouette etc. oder Farbnuancen gut sind. Und das lässt zu, dass ich mich sehr wohlfühle. Ich habe heute (Stand: AMA Juli) noch nicht alle Kostüme für mich gesehen, aber ich weiß, dass sie mir alle sehr gut stehen werden und ich mich wohlfühle. Und das ist für mich sehr wichtig. Denn wenn ich mich selbstbewusst und schön fühle, dann hilft mir das auch als Sängerin. Natürlich würde ich auch gekleidet als Ananas meine Rolle überzeugend singen und spielen wollen, und der Kern von Donna Anna ist in mir und nicht äußerlich, aber mir als Megan hilft die Kleidung sehr. Dann fühle ich mich stark und kraftvoll.


Donna Elvira

KS Katrin Gerstenberger: Ich finde das Thema Nachhaltigkeit super, also auch Kostüme aus dem Fundus zu nutzen. Ich habe hier über die Jahre ja quasi schon einen eigenen Fundus mit Kleidern, die für mich gemacht wurden, auch Lieblingskleider, die selten auf der Bühne waren und einfach toll gemacht sind. Und es ist so toll, dass sie noch einmal eine Chance auf der Bühne zu bekommen. Und eben auch diese individuelle Reise, dass man sich seine Gedanken machen darf - wo kommt eine Donna Elvira her, was macht sie, welche Kleider braucht sie -, da habe ich viel mit Judith gesprochen. Und es gibt eine Szene, da hat meine Kollegin Solgerd, die auch Donna Elvira singt, ein ganz anderes Kostüm als ich, weil sie ein anderes Konzept hat, wo ich z.B. das Gefühl habe: ich brauche Nachthemd und Negligée; Elvira ist hochgradig abhängig von Don Giovanni - aber es gibt einen Punkt, wo sie quasi clean wird; und da brauche ich für ihren Tiefpunkt etwas, in dem sie erniedrigt ist und eine peinliche Situation erlebt. Und das ist klasse, dass man hier seine Individualität hineinbringen kann und es dann aber trotzdem noch zum großen Konzept passt.

Solgerd Isalv: Der Findungsprozess dieses Kostüms ist für mich in der Bewegung sehr verankert, einer Bewegungsstudie, wenn man so will; welches  Bewegungsmuster, welcher physische Effekt unterstützen visuell - also z.B. durch Effekte des Materials - das, was wir emotional erzählen wollen. Es hat dazu einen interessanten Gedankenaustausch gegeben, bei dem die Beteiligten, Judith, die Gewandmeisterinnen, Kostümassistenten und ich versucht haben, diese Lesart einzufangen. Auch die nachhaltige Ausrichtung der Produktion ist dabei eine Bereicherung gewesen, da der Fund eines Kleidungsstücks oder eines Accessoires, das vor einigen Jahren für etwas anderes geschaffen wurde, ebenfalls zur Charakterentwicklung beigetragen hat.

Judith Adam: In einem Gespräch mit Solgerd Isalv über Körpersprache, Musik und Bühnensprache habe ich verstanden, wie körperlich Elvira ist. Dass sie sehr präsent ist, mit ihrem Händen spricht und das hat auch mit ihrer Körperhaltung zu tun. Daraus ist entstanden, dass wir beim Kostüm Paniers, die diese typische zur Seite ausladende Silhouette des Rokoko erzeugen, verwendet haben, weil sie immer dazu auffordern in dieser mondänen Körperhaltung zu bleiben. Wir fanden, diese Silhouette entspricht der Rolle und das haben wir auch für einen anderen Auftritt weitergeführt: eine Rokoko-Silhouette, aber mit Hosen.


Leporello

Judith Adam: Wir haben zwei ganz fantastische Leporellos - sehr verschieden. Beide haben im Kostüm eine ähnliche Silhouette, die die Zeit widerspiegelt, aber mit einer ganz unterschiedlichen Materialität. Ich hatte das Gefühl, dass Georg Festl ein Material unterstützt, das sich weich um ihn herum bewegt. Johannes Seokhoon Moon braucht dagegen etwas Festeres, etwas Gefasstes, also ein konträres Material. Vermutlich bemerkt das Publikum das gar nicht, aber unterschwellig schwingt es mit.


Zerlina

Judith Adam: In Don Giovannis Nähe werden Dinge möglich, da gibt es eine Inspiration. Das ist, was mich an der Produktion und Karsten Wiegands Konzept gleich begeistert hat. Wir haben drei unglaublich starke Frauenpersönlichkeiten, die durch Don Giovanni Facetten von sich selbst entdecken. Die Kostüme zeigen den Weg, wie sie sich entwickeln. Z.B. sieht sich Zerlina zunächst als Bäuerin, und plötzlich ranken da doch ein paar Blumen auf ihrer Seiden Korsage. Denn Juliana Zara hatte das Gefühl, dass sie da doch mehr Transformation braucht. Wir hatten erst ein sehr üppiges Kleid, in dem sie aber ertrank. Glücklicherweise hatte ich zuvor eine Korsage im Fundus gefunden von der ich zunächst nicht wusste, warum sie mit mir spricht, wofür ich sie vielleicht brauchen könnte - ein Traum, ein ganz altes Kostüm aus reiner Seide mit wunderschöner Blumenstickerei - und diese Korsage passte dann Juliana wie angegossen und fügte isch perfekt in diese Transformation der Zerlina ein. Es freut mich, dass diese Korsage nochmal ihren Weg auf die Bühne gefunden hat.


Don Giovanni

Judith Adam: Wir haben einen Don Giovanni, der kein spektakuläres Kostüm braucht. Denn seine Kraft ist nicht, dass er ein wahnsinnig schöner Mann ist - ohne Zweifel ist unser Sänger Julian Orlishausen das natürlich dennoch - aber es ist nicht seine Superpower, dass er so schön ist, sondern dass er etwas in Gang setzt. Und da bin ich ganz glücklich über verschiedene Fundstücke: Julian trägt einen schwarzen Holland-Leinen-Jus-de-Corp, der einfach fantastisch passt. Den habe ich aus dem Fundus und eigentlich nur für die Probe gedacht. Dazu trug er ein schönes Probenhemd, das floss so schön über ihn und manchmal blitzte etwas Haut hervor. Er sah irrsinnig selbstverständlich aus und nicht verkleidet. Bei der Anprobe suchten wir nach einer passenden Hose und probierten Kniebundhosen und Anzugshosen aus - da sagte er: wie wärs mit einer Lederhose? Das war es! Er sieht super scharf aus, aber eben selbstverständlich - und das ist wichtig.


Masetto

Eric Ander: Für mich ist beim Kostüm wichtig, dass ich mich auf den Boden schmeißen kann und es alles mitmacht. Und es sollte nicht zu privat sein. Mir hilft es sehr, den Charakter einer Rolle zu finden. Ich bleibe aber offen dafür, was auf der Probe passiert.

Judith Adam: Eric Ander spielt ganz präzise und hat eine ganz feine, leise Handschrift, die ich sehr bewundere. Sein Kostüm ist derzeit von einer delikaten Bescheidenheit, er braucht nicht viel. Es gibt so einfache, schlichte und sehr intime Szenen mit Zerlina. Und da war mir wichtig, dass das Kostüm keine Distanz schafft, dass wir ihm glauben in seinen Sorgen. Später gibt es eine Szene, in der er verkleidet ist - und auch das verbindet sich toll mit seinem Spiel und erzeugt eine wunderbar tragische Komik.


Komtur

Judith Adam: Unser stattlicher Komtur Zelotes Edmund Toliver ist fast zwei Meter groß und wir mussten für ihn etwas anfertigen. Der Stoff wurde extra für den steinernen Gast, die Statue gefärbt. Mit seiner imposanten Größe sieht er wie eine ehrwürdige Schachfigur aus. Gleichzeitig ist es „nur“ ein Morgenmantel - das passt, wenn er in den Garten rennt und stirbt und gleichzeitig hat es etwas symbolhaftes.


Don Ottavio

Judith Adam: Don Ottavio ist einfach perfekt. Er macht einfach alles richtig und hat darin sehr wenig Platz für sich. Sein Kostüm sollte daher von perfekter, makelloser Eleganz sein, aber eben auch sehr gefasst und hoch geschlossen. David Lee spielt sehr konzentriert und das Kostüm was der Rolle Ottavio wenig Raum gibt, gibt wiederum dem Sänger den Raum die feinen Nuancen seiner Interpretation hervorzubringen. Dies zeigt wie vielschichtig Kostüme wirken.

Don Giovanni