Regisseur Dirk Schmeding im Gespräch mit Dramaturgin Frederike Prick-Hoffmann

Regisseur Dirk Schmeding, der mit Claude Debussys „Pelleas und Melisande“ einen ebenso faszinierenden wie befremdlichen Solitär der Opernliteratur auf die Bühne bringt, im Gespräch mit Dramaturgin Frederike Prick Hoffmann.

Frederike Prick-Hoffmann: Mit Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, deiner letzten Inszenierung hier in Darmstadt, hast du eine schillernd-düstere Revue auf die Bühne gezaubert, die mächtig Eindruck hinterlassen hat – man erinnere sich an die drei Meter großen, gigantischen Tauben auf der Bühne, die an Frankensteins Monster erinnernde Olympia oder Kurtisane Giulietta, in pinke Riesenfedern gehüllt. „Pelleas und Melisande“, die 1902 uraufgeführte einzige Oper des Impressionisten Claude Debussy, verspricht ja nun eine sehr andere Klang- und Bildwelt. Im Zentrum des symbolistisch aufgeladenen Kammerspiels um eine isolierte Königsfamilie steht das Liebesdreieck zwischen den Halbbrüdern Pelleas und Golaud und der geheimnisvollen Melisande, die zwar Golaud heiratet, aber Pelleas liebt. Wie hast du dich der Oper angenähert?

Dirk Schmeding: Die Stücke scheinen auf den ersten Blick vielleicht konträr, aber es gibt gleichzeitig verbindende Elemente. Von Hoffmann zu Pelleas, von Offenbach zu Debussy ist es gewissermaßen ein logischer Schritt. Was Debussy und die Symbolisten in Frankreich gemacht haben, ist im Grunde ein Weiterträumen der deutschen Romantik, in Seelenlandschaften hinein und in die Erkundung des Unbewussten durch Freud um die Jahrhundertwende herum. Mit „Hoffmanns Erzählungen“ hatten wir damals eine große, sehr extrovertierte Seelenreise eines Narzissten aufgezogen, der sich fortlaufend mit sich selbst beschäftigt. Die schillernden Revue-Welten, die wir erschaffen haben, waren Innenwelten seiner Selbst. Und dieses Mal drehen sich die Vorzeichen um, wir haben es mit extrem introvertierten Figuren zu tun, aber auch mit „Pelleas und Melisande“ begeben wir uns auf eine Seelenreise. Das Spannende ist hier für mich als Regisseur: Wie sieht der seelische Roadtrip von introvertierten Figuren aus? Das Stück ist sehr untypisch für sein Genre, denn nichts liegt in der Handlung und alles liegt in der Andeutung. Wie kann man einem so unopernhaften Stück also mit den Mitteln der Oper nahekommen? Das ist für mich eine spannende Herausforderung.

FPH: In „Hoffmanns Erzählungen“ war die Seelenreise ganz klar der Titelfigur zugeordnet. Wie ist es bei „Pelleas und Melisande“? Gibt es eine bestimmte Figur, aus deren Perspektive wir uns auf die Reise ins Innen begeben?

DS: Ich glaube, hier würde es dem Stück schaden, sich auf die Perspektive einer Figur zu beschränken. In „Pelleas und Melisande“ haben wir es viel mehr mit einem Kaleidoskop der Perspektiven innerhalb einer dysfunktionalen Familie zu tun. Es geht um das Panoptikum dieser seltsamen Gestalten, die allesamt in Schloss Allemonde aufeinanderhocken, die sich nicht aus dem Weg gehen können und höchstens versuchen,
nicht miteinander zu kommunizieren – was zu großen Problemen führt.


FPH: Was ist für dich das Thema dieser introvertierten Oper?

DS: Die Figuren fühlen sich den Geschehnissen schicksalhaft ausgesetzt. Niemand begreift, was eigentlich passiert. Die Geschehnisse der Oper sind im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar. Die Figuren empfinden kaum jemals eine Selbstwirksamkeit, eine Wirkungsmacht, sondern vielmehr eine konstante Ohnmacht, ein Ausgeliefertsein. Diese Ohnmacht empfinde ich als ein Gefühl, das unserem Zeitgeist sehr entspricht.

FPH: Wie wird ein so düsteres Werk dennoch zum Operngenuss?

DS: Das Stück wird unheimlich lebendig und macht in all seiner Düsternis richtig Laune, indem man ihm andere Farben erlaubt. Bei uns werden das eine gewisse Skurrilität sein, schräge Charaktere, ein morbider Humor, verzerrte Proportionen. Das Stück ist in einer Zeit in Paris entstanden, in der das symbolistische Theater in Paris versucht hat, mit ganz neuen Mitteln zu arbeiten. Die Theaterfiguren von Maurice Maeterlinck, der das gleichnamige Theaterstück geschrieben hat, auf dem die Oper basiert, haben oft etwas Marionettenhaftes, etwas Schräges. Es geht mir darum, ein sinnliches Theatererlebnis zu schaffen, um etwas eigentlich Ungreifbares zu erzählen.

FPH: Wie würdest du das Theater beschreiben, was du selbst gern sehen willst? Was findest du spannend?

DS: Ich finde, es sollte um mehr gehen als meine persönlichen Präferenzen und ästhetischen Wunschvorstellungen. Ich hoffe, dass meine Teams und ich aus den Stücken heraus Welten entwickeln, in denen die Ideen der Werke möglichst frei schwingen und resonieren können. Wenn das gelingt, dann macht das für mich schon gutes Theater aus. Zweitens wünsche ich mir ein intelligentes Theater, das sich nicht in seiner eigenen Intelligenz verkrampft. Eine schlaue Idee sollte nicht um sich selbst kreisen, sondern sich in theatraler Sinnlichkeit auf der Bühne einlösen. Sonst wird mir persönlich schnell langweilig. Ich möchte überrascht werden und etwas zu sehen bekommen, so simpel das auch klingt, denn Theater hat auch mit Schauwert zu tun. Und zuletzt: Einem guten Theaterabend merkt man an, ob sich alle Beteiligten mit Freude und Liebe zur Sache mit einem Stoff beschäftigt haben. Ein hoher Anspruch, dem man nicht immer gerecht wird – aber Freude und Liebe sind spürbar, und das möchte ich erreichen.


Pelleas und Melisande
Drame lyrique in fünf Akten von Claude Debussy / Libretto von Maurice Maeterlinck / in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln / empfohlen ab 14 Jahren

MUSIKALISCHE LEITUNG Lucie Leguay
REGIE Dirk Schmeding
BÜHNE Martina Segna
KOSTÜM Frank Lichtenberg
LICHT Michael Heidinger
DRAMATURGIE Frederike Prick-Hoffmann
EINSTUDIERUNG CHOR Guillaume Fauchère

Premiere am 31. Januar, 19:30 Uhr | Großes Haus
Weitere Termine: 13. & 22. Februar, 19. März, 04. April

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