Du arbeitest oft zu historischen Themen, recherchierst wahnsinnig viel. Auf welchen Wegen hast du dich diesem Stoff um die Hündin Laika, dem ersten Lebewesen im Weltall, genähert?
Franke: Ich beschäftige mich viel mit den Toten, ja, und versuche sie mit den Mitteln des Theaters wieder zum Leben zu erwecken, zu retten. Meistens sind das Menschen, aber in diesem Fall ist es eben eine Hündin. Laika. Sie ist noch weniger greifbar als ein Mensch der Vergangenheit.
Weil sie keine direkten Zeugnisse, wie Interviews oder Tagebücher, hinterlassen konnte?
Franke: Genau. Und der Ort, an dem sie gestorben ist, ist der Weltraum. Es ist schwer, eine Recherchereise dahin zu machen, und obwohl ich zu Recherchezwecken gerne verreise, hätte ich darauf auch verzichtet. Aber wenn ich das nicht tun kann, dachte ich mir, kann es ja vielleicht eine Hexe. Margarita. Sie ist eine literarische Figur – aus dem Roman „Der Meister und Margarita“ von Bulgakow –, sie kriegt das vielleicht besser hin; mit der Zeitreise und der Weltraumreise.
"Laika und Margarita " und nicht "Meister und Margarita"…
Franke: Zwei Frauen und kein Meister, wobei der ja in dem Roman sowieso eher den passiven Part übernimmt, während Margarita handelt. Ich habe während der Arbeit an dem Stück schon recht früh gemerkt, und das finde ich ein bisschen merkwürdig, weil das erstmal nicht so naheliegend und auch nicht meine erste Absicht war, dass mich die Stimmen von Laika und Margarita sehr interessieren und daher dann auch ihre Körper, die weiblichen Körper, die entweder staatlich oder vom Autor, also Bulgakow, kontrolliert und zum Teil auch instrumentalisiert werden. Alle Hunde, die für die orbitalen Flüge trainiert wurden, waren weiblich. Das finde ich sehr aussagekräftig.
Welche Bedeutung hat das Neben- und Miteinander von Historischem und Fiktionalem für deinen Text und die Inszenierung?
Franke: Eine der sinnreichsten Entdeckungen, die ich während der Recherchen zu dem Stück gemacht habe, ist die, dass der bei Raketenstarts benutzte Countdown eine Erfindung des Stummfilms ist. Fritz Lang hat in seinem Film „Die Frau im Mond“ entschieden, beim Raketenstart nicht vorwärts zu zählen, sondern rückwärts. Damit der Start nachvollziehbar und spannend ist. Die wirklichen Raketenbauer haben das dann übernommen. Das versinnbildlicht vielleicht ganz gut, wie ich mir die wechselseitige Durchdringung von Realität und Fiktion denke.
Was, glaubst du, hat Laika gefühlt, als sie in ihrer Raumkapsel die Atmosphäre verlassen hat?
Franke: Sie hatte bestimmt Angst... Aber ich glaube, sie kannte diese Angst von ihrem ersten Leben auf den Straßen Moskaus. Sie war ja, wie alle Hündinnen und Hunde des Weltraumprogramms der UDSSR, eine Streunerin. Manchmal denke ich, sie fände es cool, dass es eine Zigarettenmarke mit ihrem Namen und Konterfei geben wird und sie so wieder auf Moskaus Straßen präsent ist und die Obdachlosen sie wiedererkennen.
Eine gewisse Vermenschlichung wird sich vermutlich nicht vermeiden lassen, wenn wir Menschen ein Stück über und mit einer Hündin machen.
Franke: In der Auseinandersetzung mit dem Thema merke ich, wie die Unterscheidung von Mensch und Tier, von Kultur und Natur bei Hündinnen und Hunden nicht aufgeht, weil der Mensch schon immer Teil von deren engstem Umfeld war. Und andersherum auch. Es gibt keinen natürlichen Lebensraum der Hunde ohne Menschen. Trotzdem kann ich nicht wissen, was Laika gefühlt hat. Und im Weltraum war ja auch kein Mensch, niemand. Nicht mal Gott, wenn man der offiziellen Aussage Juri Gagarins, nach dessen Flug in den Kosmos, Glauben schenken kann.
Der Kopf hinter dem sowjetischen Raumfahrtprogramm ist Sergej Koroljow, er spielt auch eine wichtige Rolle in deinem Stück. Was interessiert dich an dieser Figur?
Franke: Niemand hat die tatsächliche Umsetzung der Raumfahrt, also das tatsächliche Entwickeln und Bauen von Raketen und Raumschiffen in der Sowjetunion so vorangetrieben wie er. Aber er war selbst auch ein Getriebener. Er wurde im Zuge von Stalins Großem Terror wegen vermeintlicher Sabotage verhaftet, verurteilt und verbrachte dann eine gewisse Zeit im Gulag. Eine recht kurze Zeit, aber trotzdem war er auch danach noch ein Gefangener, in einem speziellen Gefängnis für Ingenieure und auch noch später, weil er seine Bürgerechte lange Zeit nicht zurückbekam. Trotzdem war er überzeugter Kommunist und vor allem fortschrittsgläubig. Und Fortschritt bedeutete eben zumeist nur noch: technischer Fortschritt. Aber eben nicht mehr: humanistischer Fortschritt. Es ging nicht mehr darum, wie die Menschen zusammenleben wollen, sondern darum, als erstes auf dem Mond zu fliegen. Es ging darum, zu gewinnen. Und die meisten der Gewinner waren Männer. Ich verstehe, dass Koroljow ein Gewinner sein wollte, es musste, aber ich finde es schade. Zum Glück gibt es in dem Stück auch noch einen jungen Mann vom Zirkus, einen ehemaligen Hochseilartisten, der nun die Weltraumhündinnen trainiert und sich so gar nicht für so etwas interessiert.
Wie du zu Beginn gesagt hast: Du versucht die Toten zum Leben zu erwecken und eignest dir dafür viel historisches Wissen an. Warum ist dir die Vergangenheit so wichtig beim theatermachen?
Franke: Wir fragen uns immer, was wir aus der Vergangenheit lernen können für die Gegenwart – und vor allem die Zukunft. Ich empfinde das oft als sehr instrumentalisierend und rein nutzenorientiert. Ich frage mich oft, was haben wir noch der Vergangenheit zu sagen, schaffen wir es überhaupt eine Gegenwärtigkeit und Präsenz zu entwickeln, die in die Vergangenheit strahlen kann? Wenn wir es schaffen, dann im Theater. Das ist der Versuch.
Laika und Margarita
Eine kosmische Korrekturmaßna- wuff wuff!
Schauspiel von Christian Franke / Uraufführung / ab 14 Jahren
REGIE Christian Franke
BÜHNE & KOSTÜM Sabine Mäder
MUSIK & KOMPOSITION Andrea Belfi
VIDEO Grigory Shklyar
DRAMATURGIE Friederike Weidner
Premiere am 30. April 2025 / 19:30 Uhr / Kammerspiele
Weitere Termine: 31. Mai und 5. Juni
Infos und Tickets: Laika und Margarita