Musical-Darstellerin Beatrice Reece im Gespräch mit der Dramaturgin Isabelle Becker über Rollenklischees, Rituale und ihre Rolle der Cathy in „The Last Five Years“
Man erkennt sie an ihrer röhrigen Soulstimme, die sich scheinbar mühelos in die Höhe schraubt. Es ist nicht die erste Produktion von Beatrice Reece am Staatstheater Darmstadt. Noch kann das Darmstädter Publikum sie als Clubsängerin und Mutterfigur in „Saturday Night Fever“ erleben. Ab Ende Oktober steht die Ausnahmedarstellerin mit britisch-amerikanischen Wurzeln in der Produktion „The Last Five Years“ wieder auf der Bühne des Staatstheaters.
Beatrice, worauf freust du dich am meisten, wenn du an die Produktion „The Last Five Years“ denkst?
Ich freue mich, dass ich besetzt wurde. Das mag ganz sicher auch an meinem Selbstbewusstsein liegen, aber es ist einfach nicht normal, dass jemand mit meiner Körperfülle in dieser Rolle besetzt wird. Ich entspreche eben nicht der Norm oder dem „klassischen“ weiblichen Idealbild. Zwar habe ich schon in einigen Stücken das „Love Interest“ gespielt, aber noch nie ein einfaches Pärchen. Daran finde ich vor allem schön, dass sich andere Frauen, die vielleicht auch nicht dieser Norm entsprechen, genauso mit dieser Rolle identifizieren können – ich nenne es mal die „Prinzessinnenrolle“.
Es scheint, als seist du häufiger damit konfrontiert?
Wenn in einer Ausschreibung die Attribute „hübsch, sexy usw.“ stehen, dann würde ich mich niemals darauf bewerben. Häufig spiele ich die „Big Mama“- oder Comedy-Rollen. Verstehe mich nicht falsch, ich bringe die Menschen sehr gerne zum Lachen. Aber dass ich einfach mal die ganz normale Girl meets Boy-Geschichte (oder Girl meets Girl) spielen darf und es nicht damit entschuldigt wird, dass sie vor allem lustig ist – das ist neu für mich. Wir haben als Darsteller*innen sicher alle Dinge, an denen wir uns abarbeiten, aber auch Rollen, auf die wir reduziert werden. Ich glaube, es fängt erst langsam an, dass sich Besetzungen – auch in Bezug auf POC – verändern.
Zusammen mit Enrico de Pieri bist du jetzt sehr zentral (und bewusst!) in einem Zwei-Personen-Stück besetzt …
… und das ist eine echte Herausforderung. Das Stück ist einfach so clever geschrieben, mit unfassbar guter Musik von Jason Robert Brown. Ich habe sehr viel zu singen, was mir auch etwas Respekt einflößt. Schließlich habe ich den Ehrgeiz, es gut zu machen und die Rolle glaubhaft zu spielen. Als ich mit Freunden über das Stück sprach und auch Sätze zitierte, waren sie erstaunt: „Da ist ja alles genau benannt.“ Und das stimmt. Ich finde das Stück benennt so viel, weil es so klein und alltäglich ist. Und es sind die alltäglichen Situationen, die einen um den Verstand bringen – nicht die große Liebe und die Anziehungskraft zu Beginn. Wenn man das dann auch noch mit guter Musik beglaubigt, dann kriege ich sofort Herzrasen und Vorfreude und Gänsehaut.
Gerade weil „The Last Five Years“ so lebensnah und intim ist, bringst du auch deine persönlichen Erfahrungen mit ein?
Ja, immer. Selbst wenn es nur ein Lied ist, das ich singe. Es ist mir ganz wichtig, in mich hineinzuhören und an konkrete Situationen zu denken. Welche, das sind meine kleinen Geheimnisse, aber ich glaube, dass sie sich schon nach Außen übertragen. Ich stelle nicht dar, sondern ich fühle und das, was ich fühle, das hört man hoffentlich. Ich habe Schubladen für bestimmte Emotionen und erlaubte Orte, wo ich diese Schubladen aufmache. Das ist bei mir ganz klar die Bühne.
Deine Stimme ist außergewöhnlich und hat einen großen Wiedererkennungswert. Eine gute Paarung aus guter Technik und Gefühl. Liegt das in deiner guten Ausbildung?
Ich habe alles von meinem Papa gelernt. Er war Opernsänger – Heldentenor und Wagnersänger. Meine Mama ist Balletttänzerin. Meine Eltern waren insofern streng, dass ich das, was mich interessiert hat, dann auch richtig und kontrolliert erlernen sollte. Mit 2 Jahren habe ich mit Ballett angefangen, mit 5 Steppen und Geige, mit 8 Jahren Klavier und mit 9 durfte ich anfangen zu singen. Ganz vorsichtig und ganz wenig. Mein Papa hat mir die fundamentalsten Dinge beigebracht. Das richtige Einsingen war immer ein großes Thema – und begleitet mich bis heute. Und wir hatten unsere Rituale: Morgens früh aufstehen, er hat frischen Saft gepresst, dann sind wir eine Stunde durch den Wald spazieren gegangen und erst dann ging es ans Singen. So lange, bis es stimmte. Das konnten manchmal zwei Stunden sein, manchmal auch fünf. Das verlangte viel Disziplin, was als Jugendliche natürlich nicht immer ganz leicht war, weil ich Prioritäten setzen musste. Manchmal sagen mir Leute, Gott hätte mir einfach in die Kehle geschissen. Aber nein, ich habe richtig hart an meiner Stimme gearbeitet. Und ich habe es geliebt, sonst hätte ich es nicht gemacht. Mein Papa ist leider sehr früh verstorben, dass er das hier alles gar nicht mehr mitbekommt. Aber ich bin mir ganz sicher, er weiß, dass ich den Weg in seinem Sinne weitergegangen bin.
Und seit wann bist du im Musical Zuhause?
Mein Papa wollte natürlich, dass ich klassische Sopranistin werde. Aber ich wollte als Teenager auch ein bisschen cool sein (sie lacht). Nein im Ernst: Ich wollte einfach nur Singen. Und im Musical kamen dann – fast wie eine Fügung – alle meine anderen langjährigen Erfahrungen im Bereich Tanz und Schauspiel zusammen. Deswegen fühle ich mich da so wohl.
Ich habe dich in der Probenphase zu „Saturday Night Fever“ als eine sehr reflektierte Darstellerin erlebt, die solange an etwas feilt, bis es sich richtig anfühlt. Und darin bist du auch sehr selbstkritisch …
Das ist leider einer meiner Dämonen. Da sind auch privat bei mir gewisse Unsicherheiten, mit denen ich bei Proben umgehen muss. Aber mein Job besteht nun mal darin, Geschichten zu transportieren und da muss eben alles stimmen. It has to be maximum. Deswegen bin ich nach einer Show auch richtig im Eimer. Jeder Mensch hat hart dafür gearbeitet und sein Geld in die Hand genommen, um uns zuzuschauen. Ich möchte nur, dass die Menschen danach bewegt sind.
Wie sieht ein Vorstellungstag von Beatrice Reece aus?
Bei mir muss alles nach Plan laufen. Ich fahre prinzipiell immer früher los. Mein Papa hat gesagt „A Reece is never late“. Es ist mir in jungen Jahren bei einem Sommer-Workshop nur einmal passiert und dann nie wieder. Wenn die Vorstellung um 19.30 Uhr beginnt, bin ich meisten um 12 Uhr schon in Darmstadt. Ich nehme 13 Uhr die letzte Mahlzeit zu mir (bis abends 23 Uhr ist es eine ziemlich lange Strecke, aber sonst wird mir schlecht beim Singen). Und dann heißt es Klappe halten. Meditieren in der Garderobe, um meine Energie für den Abend zu bündeln. Dann singe ich mich ein, manchmal auch für eine Stunde. Ich habe meine kleinen Eigenheiten: So habe ich immer eine Kanne Tee dabei, verstecke „Bönsken“ (Bonbons) für den Fall der Fälle in meinem BH, checke zuvor noch einmal alle Requisiten und Kostüme – ziehe es zur Not vorher noch einmal an. Dann beginnt das Warm-Up, Soundcheck und 20 Minuten vor Beginn gehe ich alle Dialoge im Schnelldurchlauf noch einmal durch. Ich brauche diese Rituale, gerade wenn ich mehrere Shows gleichzeitig spiele. Manchmal muss ich nach der Show sofort wieder in eine andere Stadt weiterziehen, aber am liebsten lasse ich die Abende mit den Kolleginnen und Kollegen ausklingen. Gerne auch hier in Darmstadt.