Interview mit Gabriele Drechsel und Daniel Scholz

Wie würdet ihr die Arbeiten von und mit Christoph Mehler beschreiben?

Daniel Scholz: Die Arbeit ist intensiv, wahrhaftig - das ist ein großes Wort, aber dem so nahe wie möglich kommend - und fordernd für alle Beteiligten; für ihn wie auch für uns als Spieler.
Gabriele Drechsel: Wild, sehr persönlich und sehr lebendig. 

Was verbindet seine Arbeiten? Gibt es Dinge, die sich ähneln? Eine Handschrift?

Daniel Scholz: Es ist mehr so, dass Christoph sich immer wieder neu erfindet. Es gibt nicht die eine Inszenierungsart, die er betreibt. Er hat natürlich eine Handschrift, aber die hat mehr mit einem Zustand zu tun als mit einer Form. Alle acht Arbeiten, die ich mit ihm gemacht habe, waren alle wirklich sehr sehr unterschiedlich. Und das ist das Tolle und Spannende, dass man nicht weiß, was einen erwartet, dass man neugierig bleibt und sich immer auf eine neue Reise begibt.

Und auch, dass man immer auf der Suche ist, immer an die Grenze geht. Das kann auch wehtun, man geht in Schmerzpunkte hinein; aber deswegen machen wir ja den Beruf. Wir wollen hier kein 0815-Theater sein, sondern wir wollen hier irgendwie wach bleiben. Ritual hätte für mich etwas mit Monotonie zu tun, etwas, bei dem man sich sicher fühlen kann, etwas Wiederkehrendes und Beruhigendes. Und ich finde, das Theater, das wir alle zusammen machen wollen - und dazu gehört auch der Musiker David Rimsky-Korsakow und die Bühnen- und Kostümbildnerin Jennifer Hörr, die zusammen schon unglaublich lange arbeiten, und sich in- und auswendig kennen, ein wunderbares Zusammenarbeiten! - wir wollen uns nicht beruhigen. Wir wollen nicht sicher werden, in dem was wir tun. Wir wollen weiter Fragen stellen und unruhig bleiben.

Gabriele Drechsel: Christoph hat meistens keine Textfassung vorbereitet, er weiß aber, was ihn interessiert. Die Strichfassung erarbeiten wir dann gemeinsam. Wir gehen in den Probenarbeiten gemeinsam auf die Suche nach dem Thema, nach der Beantwortung von Fragen. Und daraus entstehen dann die Form und das Ergebnis. Typisch für die Arbeiten mit Christoph ist das große Vertrauen, das wir uns alle gegenseitig entgegenbringen, Regie und Schauspieler*innen, das uns dieses Zusammenspiel ermöglicht, dieses gemeinsame Gestalten. Das schätze ich an Christoph über alles."  

Was verbindet euch mit Christoph? Welche gemeinsamen Prozesse sind euch in Erinnerung?

Daniel Scholz: Es ist jetzt schon die achte Arbeit, die wir miteinander machen. Und es ist so, dass von Arbeit zu Arbeit immer weniger Worte notwendig sind. Mit ihm macht es einfach wahnsinnig Spaß zu spielen, weil er einem große Freiheiten lässt und man mittlerweile ziemlich gut weiß, was man voneinander möchte. Und das ist natürlich ein großes Geschenk, wenn man so eine weite Strecke miteinander gegangen ist und das auch immer weiter führen kann.

Gabriele Drechsel: Ich arbeite jetzt zum fünften Mal mit ihm, da ist ein unglaubliches gegenseitiges  Vertrauen gewachen. Das ist für mich das größte in der Arbeit. Die erste Begegnung war in der "Wildente", hier haben wir eine sehr emotionale Geschichte zusammen herausgefunden. Und hier habe ich gemerkt, dass Christoph jemand ist, den ich verstehe und der mich sehr interessiert in dem Ansatz: nämlich, alles was wir verhandeln, auch in einen gesellschaftlichen und politischen Kontext zu stellen. Das finde ich großartig. "

Worum geht es bei Peer Gynt? Und was macht ihr hier gemeinsam?

Daniel Scholz: Es geht hauptsächlich um die Reise eines Menschen, der um die zwanzig ist, bis zu seinem Ende; um seine Lebensreise und die Fragen, die er sich in seinem Leben stellt. Peer ist ein großer Träumer, der sich in seinem Leben nur um sich selbst dreht und versucht, zu seinem Innersten zu kommen. Wie so ein Orkan! Und er versucht zum Auge des Orkans vorzudringen. Und ganz am Ende ist er nicht mehr der, der sich um sich selbst dreht, sondern der, der zu sich selbst gekommen ist. Es ist ein unfassbares Geschenk, das spielen zu dürfen! Das hat schon auch viel mit mir selbst zu tun und das spielt man heutzutage nicht oft. Da wird mir richtig das Herz bluten, wenn dieses Stück vorbei ist im Dezember.

Gabriele Drechsel: In "Peer Gynt" spiele ich die Ase, die wir zusammen sehr intensiv entwickelt haben, als eine Frau, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird, die immer schon von Pfändung bedroht war, die quasi obdachlos ist, nichts mehr hat, verachtet wird. Mit Christoph habe ich darüber gesprochen, dass sie vielleicht gezeichnet ist durch die Straße und die Heimatlosigkeit und sich dadurch selbst fremd geworden ist, manchmal nur noch hilflos brüllen kann. Ich finde wichtig, dass die Figur eine heutige Anbindung hat; dadurch kann ich Leuten, die auf der Straße leben, die rausgeflogen sind aus einem System, die sich durchschlagen müssen, Aufmerksamkeit schenken und das Bewusstsein der Menschen hierauf lenken. Ich finde, das ist dem Stück eingeschrieben. Denn von Anfang an spricht Ase mit Peer darüber, dass der Hof gepfändet ist, das Haus kaputt ist, er nicht hilft, sie keine Hilfe hat. Alleinerziehende Frauen in der Gesellschaft stehen einfach sehr schlecht da, kriegen sehr wenig Unterstützung. Die Gesellschaft schmeißt sie raus, sobald sich die Möglichkeit bietet. Das ist für mich mit der Ase ein Thema des Stücks. Das andere große Thema ist, diese Frau mit ihrem Sohn in eine Phantasiewelt geht. Sie spielt mit ihm und lässt sich auf Spiele ein, das spiegelt die gemeinsame Liebe wieder und das gefällt mir so gut."

Worum gehts bei Solaris und was macht die Inszenierung so besonders?

Daniel Scholz: "Solaris" ist eine komplett andere Nummer, ein komplett anderer Abend als die anderen. Eine komplett andere Art von Theater! Es ist ein Science-Fiction-Rausch, in den wir uns mit einem sehr großen Spaß reingeworfen haben. Ja wie ist das so, wenn mann da seit wievielen Jahren auf dem Rauschiff rumkreist und kaum noch Menschen sieht und alle Menschen weggestorben sind wegen dieser Solaris? Wie spielt man Science-Fiction auf dem Theater? Das ist ja nicht so einfach! Und ich finde, da haben wir uns - auch vor allem Jennifer Hörr mit der Bühne und den Kostümen - etwas ganz besonderes und absurdes einfallen lassen. Und das macht Spaß, weil es etwas komplett anderes ist. 

Gabriele Drechsel: "Solaris" ist sehr schrill, sehr von Bildern ausgehend, die mich überwältigt haben und die ich faszinierend fand; es gibt eine hohe Energie, in der die Schauspieler agieren. Eine komplett fremde Welt, die ich nicht aus dem Tarkowski-Film kannte. Das fand ich gut, dass es eine ganz neue Welt kreirt. Und die Themen haben mich sehr interessiert und berührt: Wie werden Menschen mit ihrer Vergangenheit oder mit  Menschen fertig? Kann man das zurücklassen? Was ist überhaupt Realität?

Ödipus, Tyrann ist die jüngste Arbeit mit Christoph Mehler. Was habt ihr hier gemacht und worum geht es?

Gabriele Drechsel: Bei der Arbeit an Ödipus haben wir viel über politische und gesellschaftliche Verantwortung gesprochen, über Diktatur. Ich spiele Iokaste und da geht es darum: was hat sie schon vor langer Zeit getan, um die Macht zu erhalten? Was hat sie aus Liebe ihrem Mann gegenüber getan? Was tut sie das ganze Leben um Macht zu erhalten? Was treibt diesen Menschen an, eine Macht so brutal auszuüben, um zu verhindern, dass die Wahrheit zu Tage tritt? Das ist ein großes Thema. Dann auch: was passiert mit der Vergangenheit, wie vererbt sich das in die nächsten Generationen. Wann wird was verschwiegen, warum wird es verschwiegen? Wann kommen die Leichen im Keller wieder ans Licht? Und wie verhalte ich mich dann? Das sind die Themen, an denen wir sehr viel gearbeitet haben. 

Sehr berührt hat mich auch, dass wir wiedereinmal in sehr intimen Szenen spielen können, in großen Emotionen und einfach miteinander spielen. Und mit dem Bühnenbild von Jennifer Hörr sind wir ganz nah beim Publikum, was wirklich außergewöhnlich zu spielen und zu erleben ist.

Daniel Scholz: Ödipus ist eine sehr konzentrierte Arbeit. Ich mag sie sehr gerne, wäre gerne mehr dabei, habe aber selbst nur drei Szenchen. Gern hätte ich noch mehr mit dieser Sprache gemacht. Ich finde die Produktion ästhetisch auch toll, wir haben zum ersten Mal Video mit dabei und die Musik von David - was soll ich sagen? Wir sind mit einer großen Lust in die Proben und in die Premiere reingestartet und wir wussten sehr genau, was wir tun. Und das ist das Tolle, das ist das Geile! Dass man auf der Bühne steht und weiß, was man tut. Dass man Kolleg*innen hat, mit denen man Sachen verhandeln kann, wo es um etwas geht, die Beträge hoch sind, und man losspielen kann. Was will man mehr? Darum macht man den Job.